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31. Mai 2008

Herrentiere - Primates

Nach dem Regen

In Des deutschen Spießers Wunderhorn hat Gustav Meyrink im Jahr 1913 eine wunderbare Spottgeschichte zum Thema 'militärischer Patriotismus' publiziert: Schöpsoglobin. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff, der von Prof. Dredrebaisel entwickelt wurde. Um Schöpsoglobin zu herzustellen, wird zunächst ein Kalb gegen Pocken geimpft. Man gewinnt das Serum und impft damit ein Faultier sowie einen Schöps, also "ein männliches, aber chirurgisch korrigiertes Schaf" - daher der Name. Beim Kalb hatte Prof. Dredrebaisel beobachtet, dass der Pockenimpfstoff eine Art 'Vaterlandsverteidigungstrieb' auslöste. Der amerikanische Schlaufuchs, der dem deutschen Profesor bei der Vermarktung seiner Entdeckung behilflich war, bemerkte sogleich, dass die Wirkungsverstärkung vermutlich im minderwertigen Denkvermögen des Tieres begründet lag.

Diese beiden Herren, Dredrebaisel und Slyfox begaben sich nun nach Borneo, um ihre Erfindung an Orang Utans auszuprobieren. Den durch Dummheit, Faulheit und fehlende Männlichkeit verstärkten Wirkstoff impften sie zweihundert Exemplaren.

"Die unheilvollen Folgen, die das Zusammensperren so vieler starker Tiere nach sich ziehen sollte, konnte natürlich niemand vorausahnen. Die Schreckensnacht, in der die Affen ihre Käfige zerbrachen und alleskurz und klein schlugen, den Professor D. D. und die malaischen Wärter töteten, hätte bei einem Haare auch Mr. Slyfox (er entrann nur wie durch ein Wunder dem Tode) das Leben gekostet."

Das Schöpsoglobin rief jedoch weitere, unerwartete Nebenwirkungen bei den Orang Utans hervor:

"Von einem sicheren Verstecke aus hatte der Amerikaner genau beobachten können, wie die Affen nach schier endlosem Geschnatter aus ihrer Mitte einen Anführer wählten - und zwar jenes Exemplar, das schon während seiner Gefangenschaft als gänzlich vertrottelt allgemein aufgefallen war - und ihm sodann Goldpapier (!) , das sie in einer zertrümmerten Kiste gefunden hatten, auf das Gesäß klebten. (...) Die Orang-Utans scharten sich nämlich in Trupps, nahmen Äste und Ruten, oder was sie sonst in der Eile erwischten, über die Schulter und zogen eng aneinander geschart, während der Anführer mit wichtiger Miene ein Stück vorausschritt, aufrecht durch die Urwaldpfade. Von Zeit zu Zeit stieß der Goldbeklebte ein schmetterndes: Gwääh - Gwegg, Gwääh - Gwegg aus und dann kam es über alle wie eine finstere Extase."
Schöpsoglobin in Des deutschen Spießers Wunderhorn, Gustav Meyrink

Gegen die solcherart mit Patriomanie geimpften Orang Utans hilft lediglich, sich selbst das Hinterteil entsprechend zu dekorieren. Das schöne Bild oben stammt übrigens aus Alfred Russel Wallaces 'Malay Archipelago' und ist somit knapp 50 Jahre älter als Meyrinks Erzählung. Kurt Tucholsky hat nicht nur Auszüge aus dem Schöpsoglobin seiner Erzählung Der Affe mit dem Leierkasten als Epigraph vorangestellt, sondern auch für einen Kommentar zu den Verhaltensexperimenten Köhlers auf Teneriffa genutzt.

Na, Anfang des vergangenen Jahrhunderts war jedenfalls die Tierwelt noch in Ordnung: Es gab Tiere en masse. Hundert Jahre später können wir von Glück reden, wenn es in Borneo noch zweihundert Orang Utans geben sollte.

30. Mai 2008

Katzen-Jammer

am Küchentisch in morgendlichem Schaffensdrang

Es gibt eine Geschichte von Lovecraft, in der er die grausame Rache der Katzen an einem sadistischen Paar beschreibt. Im Grunde steckt hinter der Geschichte nicht viel, jedenfalls nicht im gleichen Sinne wie in H. P. Wells' Hochöfen.

In Ulthar lebte ein Pärchen, das sein "Vergnügen daran fand, die Katzen der Nachbarn in Fallen zu fangen und umzubringen." Die anderen Bewohner Ulthars stören sich zwar daran, unternehmen aber nichts; denn es ist ihnen immer noch lieber, es sterben Katzen als ihre Kinder. Eines Tages nun kommen Fremde in die Stadt.

"Aus welchem Land die Wanderer stammten, vermochte keiner zu sagen; doch zeigte sich, daß sie seltsamen Gebeten zugetan waren, und daß sie auf die Seiten ihrer Wagen merkwürdige Figuren mit menschlichen Körpern und den Köpfen von Katzen, Falken, Widdern und Löwen gemalt hatten. Und der Führer der Karawane trug einen Kopfputz mit zwei Hörner und einer eigentümlichen Scheibe dazwischen."
Die Katzen von Ulthar, Howard P. Lovecraft

Leser im 21. Jahrhundert nehmen nun wahr, dass es sich offenbar um Reisende aus dem Land der Pharaonen handeln muss, denn wir erkennen Isis' Kopfputz in der Beschreibung wieder. Unter den Reisenden ist ein kleiner Junge, Menes, der ein kleines Kätzchen nach Ulthar bringt.

"Zu dieser sonderbaren Karawane gehörte ein kleiner Junge, der weder Vater noch Mutter hatte, nur ein winziges schwarzes Kätzchen zum Liebhaben. Die Pest war zu ihm nicht freundlich gewesen, hatte ihm jedoch dies kleine bepelzte Wesen zur Linderung seiners Kummers gelassen; und wenn man sehr jung ist, kann man in den lebhaften Possen eines schwarzen Kätzchens viel Trost finden. So lächelte der Junge, den die dunkelhäutigen Leute Menes nannten, viel öfter als er weinte, wenn er mit seinem anmutigen Kätzchen spielend auf den Stufen eines wunderlich bemalten Wagens saß."

Menes' Kätzchen verschwindet nun eines Tages. Die Bewohner Ulthars erzählen ihm von dem finsteren Paar - und was macht Menes? "Und als er diese Dinge vernahm, wich sein Schluchzen tiefem Nachdenken und schließlich einem Gebet."

Damit beschwört Menes merkwürdige Dinge herauf. Isis ist darunter, aber offenbar auch weitere Bewohner des ägyptischen Pantheons wie zum Beispiel Bastet. Am nächsten Tag ziehen die Wanderer weiter. Bald darauf stellen die Bewohner Ulthars fest, dass sämtliche Katzen spurlos verschwunden sind. Für einen Teil ist klar, dass das Verschwinden mit dem alten Paar in Verbindung steht. Andere sind der Meinung, dass Menes' seltsames Ritual das Verschwinden der Katzen bewirkt hat. Beide haben recht, wie sich zeigen wird.

Am nächsten Morgen sind alle Katzen mit einem Mal wieder da - sehr geschmeidig und fett. Sie haben auf Tage hinaus keinen Hunger und wollen nicht fressen. Es dauert eine Weile, bis den Bewohnen Ulthars auffällt, dass im Haus des finsteren Paares kein Licht brennt. Sie schauen nach und stellen fest, dass von ihnen nur sauber abgenagte Skelette übrig geblieben sind.

Die Cats of Ulthar gibt es hier vollständig. Die Geschichte entstand im Jahr 1920. Lovecraft war ausgemachter Katzen-Liebhaber. Vermutlich steckt also gar nichts weiter hinter der Geschichte als der mögliche Verlust eines bepelzten Lieblings.

29. Mai 2008

Schlaumeier, Besserwisser, Nervensägen

Morgens am Küchentisch

Eigentlich hatte ich vor, meine Sammlung von Raubtier-Lyrik noch ein wenig zu erweitern. Es gibt auch noch ein paar gute Kandidaten dafür. Aber vorher kehre ich zu einem anderen Lieblingsmotiv zurück: Joseph Conrad. Hier ist eine hervorragende Charakterisierung aller schlaumeiernden und besserwisserischen Zeitgenossen, die sich in den vergangenen Wochen ganz besonders viel Mühe gegeben haben, an meinen Nerven zu sägen.

"Er war von jenem unwiderstehlichen Drang besessen, seine Kenntnisse mitzuteilen, der untrennbar mit krasser Unwissenheit verbunden ist. Der unwissende Mensch weiß stets über irgendeinen Gegenstand Bescheid, der dann zum einzig kennenswerten Gegenstand wird und das Universum des Ignoranten ausfüllt."
Der Verdammte der Inseln, Joseph Conrad

Ich arbeite daran, diesen Gurkennasen mit yogischem Gleichmut zu begegnen. Aber was macht man, wenn man einem solchen Zeitgenossen bereits auf den ersten Blättern eines Buches begegnet, es sich um die Hauptfigur handelt und man weiß, dass man ihn von nun an lange Zeit an der Backe haben wird? Unterträglicherweise ist die Besessenheit des Protagonisten nun auch noch selbstreflexiv.

"Willems wußte nun alles über sich selbst. Seit dem Tage an dem er unter großen Befürchtungen heimlich den holländischen Ost-Indienfahrer in Samarang verlassen hatte, betrieb er das Studium der eigenen Person, der eigenen Verhaltensweisen, der eigenen Fähigkeiten, also jener das Schicksal bezwingenden Eigenschaften, welche ihn zu der einträglichen Stellung geführt hatten, die er nun einnnahm."

An Conrads Stelle wäre mir zum Weglaufen zumute bei dem Gedanken, die nächsten paar hundert Seiten mit diesem Unsympathen zubringen zu müssen. Aber vielleicht ist die Sektion ja der befriedigendere Weg ...

16. Mai 2008

Feuerspracht

The tyger

Tyger, tyger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?

And what shoulder and what art
Could twist the sinews of thy heart?
And, when thy heart began to beat,
What dread hand and what dread feet?

What the hammer? what the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? what dread grasp
Dare its deadly terrors clasp?

When the stars threw down their spears,
And watered heaven with their tears,
Did he smile his work to see?
Did he who made the lamb make thee?

Tyger, tyger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?

William Blake (1794)