Nach dem Regen
In Des deutschen Spießers Wunderhorn hat Gustav Meyrink im Jahr 1913 eine wunderbare Spottgeschichte zum Thema 'militärischer Patriotismus' publiziert: Schöpsoglobin. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff, der von Prof. Dredrebaisel entwickelt wurde. Um Schöpsoglobin zu herzustellen, wird zunächst ein Kalb gegen Pocken geimpft. Man gewinnt das Serum und impft damit ein Faultier sowie einen Schöps, also "ein männliches, aber chirurgisch korrigiertes Schaf" - daher der Name. Beim Kalb hatte Prof. Dredrebaisel beobachtet, dass der Pockenimpfstoff eine Art 'Vaterlandsverteidigungstrieb' auslöste. Der amerikanische Schlaufuchs, der dem deutschen Profesor bei der Vermarktung seiner Entdeckung behilflich war, bemerkte sogleich, dass die Wirkungsverstärkung vermutlich im minderwertigen Denkvermögen des Tieres begründet lag.
Diese beiden Herren, Dredrebaisel und Slyfox begaben sich nun nach Borneo, um ihre Erfindung an Orang Utans auszuprobieren. Den durch Dummheit, Faulheit und fehlende Männlichkeit verstärkten Wirkstoff impften sie zweihundert Exemplaren.
"Die unheilvollen Folgen, die das Zusammensperren so vieler starker Tiere nach sich ziehen sollte, konnte natürlich niemand vorausahnen. Die Schreckensnacht, in der die Affen ihre Käfige zerbrachen und alleskurz und klein schlugen, den Professor D. D. und die malaischen Wärter töteten, hätte bei einem Haare auch Mr. Slyfox (er entrann nur wie durch ein Wunder dem Tode) das Leben gekostet."
Das Schöpsoglobin rief jedoch weitere, unerwartete Nebenwirkungen bei den Orang Utans hervor:
"Von einem sicheren Verstecke aus hatte der Amerikaner genau beobachten können, wie die Affen nach schier endlosem Geschnatter aus ihrer Mitte einen Anführer wählten - und zwar jenes Exemplar, das schon während seiner Gefangenschaft als gänzlich vertrottelt allgemein aufgefallen war - und ihm sodann Goldpapier (!) , das sie in einer zertrümmerten Kiste gefunden hatten, auf das Gesäß klebten. (...) Die Orang-Utans scharten sich nämlich in Trupps, nahmen Äste und Ruten, oder was sie sonst in der Eile erwischten, über die Schulter und zogen eng aneinander geschart, während der Anführer mit wichtiger Miene ein Stück vorausschritt, aufrecht durch die Urwaldpfade. Von Zeit zu Zeit stieß der Goldbeklebte ein schmetterndes: Gwääh - Gwegg, Gwääh - Gwegg aus und dann kam es über alle wie eine finstere Extase."
Schöpsoglobin in Des deutschen Spießers Wunderhorn, Gustav Meyrink
Gegen die solcherart mit Patriomanie geimpften Orang Utans hilft lediglich, sich selbst das Hinterteil entsprechend zu dekorieren. Das schöne Bild oben stammt übrigens aus Alfred Russel Wallaces 'Malay Archipelago' und ist somit knapp 50 Jahre älter als Meyrinks Erzählung. Kurt Tucholsky hat nicht nur Auszüge aus dem Schöpsoglobin seiner Erzählung Der Affe mit dem Leierkasten als Epigraph vorangestellt, sondern auch für einen Kommentar zu den Verhaltensexperimenten Köhlers auf Teneriffa genutzt.
Na, Anfang des vergangenen Jahrhunderts war jedenfalls die Tierwelt noch in Ordnung: Es gab Tiere en masse. Hundert Jahre später können wir von Glück reden, wenn es in Borneo noch zweihundert Orang Utans geben sollte.