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31. Dezember 2008

Und dann ist plötzlich Weihnachten

Approaching midnight

Hier kommt eine kleine Liste, wohin ich im zu Ende gehenden Jahr gereist bin:

Im Januar habe ich fast den ganzen Monat in Paris am Institute Paléontologie Humaine verbracht. Zwischen Februar und Mitte Juni war's dann etwas ruhiger, was die Reiserei anbetrifft. Aber auch hierzulande gab es genug zu tun: ein neuer Job, diverse Workshops, ein paar Tagesausflüge ins benachbarte Ausland oder in der Heimat.


Gute Vorsätze


Und jetzt zum Mitsingen:


5. Oktober 2008

zum späteren Gebrauch

Götterdämmerung

... kommt hier ein Zitat:

"Wir werden daran arbeiten, eine Strategie zu entwickeln, die es uns ermöglicht, voranzuschreiten."

Das Original stammt noch dazu aus einer Ecke, in der man sozialistische Vorwärts-Rhetorik nun überhaupt nicht suchen würde.

28. September 2008

Sachsenhausen - Sindlingen - Praunheim

Tour-Tagebuch: in den letzten Sonnenstrahlen am Küchentisch

Einen der vermutlich letzten schönen Sonntage in diesem Jahr haben wir für eine Radtour durch den Frankfurter Westen genutzt. Es ging von Sachsenhausen aus am südlichen Main-Ufer entlang nach Schwanheim, dann um den Industrie-Park Hoechst herum nach Sindlingen und von dort aus über Höchst an der Nidda entlang nach Praunheim. Keine großen Höhenunterschiede, also keine besonderen Herausforderungen für die Bergbeine; dafür wunderbares Sonnenwetter und gemütliches Geradel.

14. September 2008

Was in Amsterdam alles nicht erfunden wurde

Amsterdam: im spätsonntagnachmittäglichen Sonnenschein

Heute habe ich einen Sonntagsausflug nach Amsterdam unternommen. Der Masterplan bestand darin, am Open-Monument-Day, wenn alle Holländer also woanders sind, ins Rijksmuseum zu gehen und mir all die Rembrandts und Vermeers dann mit weniger Begleitmusik reinzutun. Im Prinzip keine schlechte Idee. Leider hatte ich nicht bedacht, dass Amsterdam zu jeder Tages- und Nachtzeit voller Touristen steckt und der größte Teil davon nicht wegem dem Sexmuseum, dem Erotikmuseum oder Het Oranje Voetbal Museum kommt. Naja, es war leidlich voll, aber ich kam schon noch in Ruhe zum Gucken.


11. September 2008

Der Atem der Geschichte

Haarlem, im Abendsonnenschein auf der Hotelterasse

Heute habe ich einen Ausflug gemacht und bin nach Haarlem gefahren. Dort befindet sich das älteste Museum der Niederlande, Teylers Museum, das bereits 1784 gegründet wurde. Das gesamte Haus und die Sammlungen dort atmen Geschichte. Es ist kaum auszuhalten. Ich bin gelb vor Neid da durchspaziert.


8. September 2008

Windmühlen, Klompjes und Käse

Leiden, Abenddämmerung auf dem Bett

Seit einer Woche befinde ich mich jetzt in Holland und geniesse Windmühlen in der Stadt mit der ältesten Universität in den Niederlanden. Leiden ist genau so, wie man sich Holland so vorstellt: Backstein-Gotik und Kanäle allüberall. Dazwischen vereinzelte Windmühlen und erstaunlich viele Holländer unter den ganzen Touristen. Bezaubernd.


15. August 2008

Etappe 5: Bücheloh - Weimar

Tour-Tagebuch: Naß, aber glücklich!

Heute gings dann auf zur letzten Etappe unserer Tour, die mit knapp 70 km nochmal zu den längeren gehörte. Unser Wetterglück hat uns heute etwas im Stich gelassen. Glücklicherweise haben wir uns gestern in Ilmenau noch mit Regenklamotten eingedeckt und waren daher etwas besser gerüstet als am Dienstag. Als wir heute früh das Haus verliessen, fing es an zu tröpfeln und so ging es stetig weiter, mal stärker, mal schwächer.


14. August 2008

Etappe 4: Eisfeld - Bücheloh

Tour-Tagebuch: Abendrot in Bücheloh

Wieder Glück mit dem Wetter! Die heutige Etappe führte zunächst weiter entlang der Werra bis zur Fehrenbach-Quelle. Der Weg ging über Sachsenbrunn in den Wald und dann immer nach oben, bis wir an diesen wunderschönen See kamen. Vermutlich waren wir da immer noch kilometerweit von der eigentlichen Fehrenbach-Quelle entfernt, aber es war so wunderschön, dass es in unseren Augen als Ursprung der Werra glatt durchgeht. Wir haben hier eine kurze Pause eingelegt, Vögel aufgescheucht und Fischen beim Rumpaddeln zugesehen. Dann machten wir uns an den letzten Aufstieg zum Rennsteig, auf den wir zwischen Pechleite und Eselsberg trafen.

Über den Eselsberg sind wir übrigens auch noch drüber gefahren. Mit 841,5 m üNN erreichten wir den höchsten Punkt unserer Tour. Dort oben gibt es übrigens ein Restaurant und einen weiteren, etwa 20 m hohen Turm, von dem aus man einen fantastischen Rundblick hat. Wir orientierten uns kurz und machten uns dann auf den weiteren Weg, der uns über Masserberg nach Neustadt am Rennsteig führte. Hier kurze und späte Mittagspause und dann gings ab im Sausewind nach Ilmenau. Ab Masserberg führt der Radweg an der Bundesstrasse entlang, was einerseits schade ist (viel Autoverkehr), andererseits aber wesentlich sicherer. Die Abfahrt hat an manchen Stellen 12 % Gefälle und es ging ganz schön fix dahin. Kopfsteinpflaster oder Kies und Schotter hätten unter Garantie zu aufgeschlagenen Knien geführt.

Nach unseren vier Tagen in der Wildnis kam uns Ilmenau wie eine Metropole vor. Wir gingen shoppen! Die Altstadt da ist eine Fußgänger-Zone und man kommt ziemlich gut herum. Am schicksten fand ich ja die Thermometer-Säule, die nach den Himmelsrichtungen ausgerichtet ist. Die Himmelsrichtungen (und Tageszeiten) werden durch vier verschiedene Tiere angezeigt: der Hahn, die Bienen, die Fledermaus und die Eule. Sehr süß!

Übernachtet haben wir dann 6 km nördlich von Ilmenau, in Bücheloh. Bücheloh ist ein Straßenort mit einer Kneipe, der Buche, und drei Pensionen. Die Buche wird geführt von mehreren Generationen der Familie Böhm. Herr Böhm ist ein Bücheloher Urgestein und hat uns sehr beeindruckt. Mir gefällts in Bücheloh, insbesondere weil wir beim abendlichen Waldspaziergang ein phänomenales Abendrot sehen konnten. Klasse!

13. August 2008

Etappe 3: Meiningen - Eisfeld

Tour-Tagebuch: Im Wirtshaus im Wald

Heute früh hatte der Regen sich dann verzogen. Der Himmel war voller dicker Schäfchenwolken. Am heutigen Tag folgten wir dem Verlauf der Werra flußaufwärts bis nach Eisfeld. Der Werratal-Radweg ist wirklich luxuriös. Sogar scharfe Kurven sind extra ausgeschildert.

Am Kloster Veßra gibt es eine erste Steigung, dafür gehts aber auch wieder bergab. Fortan war die Strecke etwas hügeliger, aber nie wirklich lange. Wir waren ja durch die Hochrhön-Etappe schon präpariert und hatten Bergbeine entwickelt. In Trostadt legten wir eine kleine Pause ein - in einer Klostermühle mit fantastischem Essen. Hinter Trostadt kamen wir dann durch Hildburghausen. Möglicherweise war ich da einfach überfordert, aber ich war extrem genervt vom städtischen Verkehr und den finster dreinblickenden Zeitgenossen, die sich dort auf der Straße herumgedrückt haben.

Ab hier wurde die Strecke dann - etwas ärgerlich - hügelig. Eigentlich führt der Werratal-Radweg auf halber Höhe den Hang entlang. Bei jedem Weiler leitet die Beschilderung aber wieder hinunter zur Werra, man passiert das einzige Wirtshaus am Ort und dann gehts wieder hinauf. Unsere Beine wurden schwer und wir verweigerten uns dieser Marketing-Strategie. Jedenfalls habe ich mir vorgenommen, beim nächsten Mal nur noch den GPS-Koordinaten zu folgen.

Unser Etappen-Ziel war Eisfeld. Dort haben wir uns in einem Waldgasthof einquartiert. In Eisfeld angekommen, stellten wir zunächst einmal fest, dass der Gasthof mitten im Wald liegt: "an der ehemaligen Zonengrenze". Heute liegt er leider an einer stark befahrenen Bundesstraße - idyllisch. Für die Wirtsleute in diesem Etablissement ist scheinbar die Zeit stehen geblieben. So unfreundliche Leute hab ich schon lange nicht mehr getroffen. Mißtrauischen Blicks hocken sie auf den Schwarzwald-Deko-Balkonen ihres Gasthofs und stieren neidisch über den mentalen Gartenzaun. Das Essen ist Maggi, die Zimmer zwar sauber, aber wahrhaftig nicht preiswert. Gleichgültig, für eine Nacht ist es auszuhalten, schreit aber weiß Gott nicht nach einer Wiederholung. Immerhin hat Eisfeld seit kurzem eine eigene Abfahrt von der A9 - und vielleicht öffnen sich ja dadurch auch neue geistige Perspektiven für die Eisfelder.

12. August 2008

Etappe 2: Oberelsbach - Meiningen

Tour-Tagebuch: Kultur am Abend

Auf dem zweiten Abschnitt unserer Tour stand eine flachere Etappe an. Leider regnete es schon vom Morgen an. Bis Mellrichstadt ging es zunächst ein Stück den Main-Rhön-Radfernweg entlang. Ostheim vor der Rhön, einer unserer ersten Etappen-Stopps, liegt an der Streu. Das hat die Stadt genutzt, um Informationstafeln zum Thema Gewässer-Ökologie aufzustellen. An denen führte nun unsere Route großenteils entlang. Die Streu ist wahrhaft ein malerisches Gewässer mit allen Mühlen, Brücken, Enten und so weiter. In Ostheim begann es dann stärker zu regnen. Wir fuhren weiter nach Mellrichstadt.

Zwischen Mellrichstadt und Meiningen hätten wir eigentlich dem Main-Werra-Radwanderweg folgen wollen. Aber nach einer längeren Kaffeepause in Mellrichstadt quälten wir uns durch den Regen noch bis Rentwertshausen und beschlossen dort, das letzte Stückchen bis nach Meiningen mit dem Zug zu fahren. Der Regen war zwar nicht besonders stark, aber unablässig und auf jeder Hügelkuppe warfen uns windige Böen fast vom Rad. Damit haben wir die Hälfte der Tagesetappe ausgelassen. Schade, denn die Gegend war eigentlich sehr schön.

So erreichten wir Meiningen unerwartet früh und halbwegs wieder getrocknet. Wir fanden eine trockene Unterkunft und machten uns zu Fuß auf Erkundungstour. Meiningen, die Theaterstadt, ist eine Perle an der Werra. Sogar Goethe hat sich zeitweise hierher verlaufen, vor allem aber Jean Paul, der nach einem Jahr wieder ging - angeblich, weil ihm das Bier zu sauer war. Uns jedenfalls hat das Bier geschmeckt. In Form von Hütes haben wir eine weitere kulinarische Entdeckung gemacht, die uns dann doch mit dem unfreundlichen Regenwetter wieder versöhnt hat. Meiningen war definitiv einen Abstecher wert!

11. August 2008

Etappe 1: Frankfurt - Fulda - Oberelsbach

Tour-Tagebuch: Ab in die Rhön!

Auf unserer ersten Etappe gings zunächst mit dem Zug nach Fulda. Beim Aussteigen habe ich mir gleich erste Blessuren zugezogen. Ich wollte einem heran spurtenden Mann mit Kinderwagen ausweichen und bin natürlich prompt samt dem Fahrrad auf den Bahnsteig geplumpst. Dabei habe ich mir nun den linken Knöchel angeschlagen.

Von Fulda aus folgten wir zunächst dem Milseburg-Radweg. Der führt durch die Kuppen-Rhön. Man kann sogar ein Stückchen durch einen alten Eisenbahntunnel fahren. Klasse! In Hilders, bei Kilometer 28, legten wir eine Kaffee-Pause ein, bevor wir uns an den Aufstieg zur Hoch-Rhön machten.

Zwischen Hilders und Oberelsbach, dem zweiten Teil unserer Tagesetappe, folgten wir dem Rhön-Höhenweg. Im "Land der weiten Fernen" - hier hat sich ein Marketing-Mensch schwer ausgetobt - war es weniger idyllisch. Erstens mussten wir die meiste Zeit auf der Bundesstraße fahren. Da war zwar der Belag okay, aber durch den vielen Verkehr war die Streckenführung nicht so prickelnd. Außerdem waren wir nach dem sonnigen, ersten Abschnitt schließlich im Hochnebel gelandet, was mich unerwartet frösteln liess. Dort fuhren wir übrigens schon ein erstes, winziges Stückchen durch Thüringen.

Im Südosten der Hoch-Rhön ging es dann schließlich wieder bergab. Es war ziemlich steil und ich war ganz froh, dass der Radweg geteert war. Ansonsten hätte das ziemlich ins Auge gehen können, zumal wir dann auch schon ziemlich erledigt waren. Bei Einbruch der Dunkelheit kamen wir schließlich in Oberelsbach an, wo wir im einzigen Haus am Platz Nachtquartier bezogen. Das Essen da war fantastisch. Savoir vivre in Bayern halt.

29. Juli 2008

Giraffen sind fabelhaft!

Makuyuni, Abends im Busch

Es ist allerhöchste Zeit, mal ein Wort über meine Lieblingstiere in Afrika zu verlieren: Giraffen! Sie haben wunderschöne Augen. Außerdem haben sie weiche Lippen.

Trotzdem knabbern sie an Akazien herum, obwohl die doch diese garstigen Dornen haben. Leider findet man keine wirklich hilfreichen Hinweise darauf, wie sie das nun eigentlich bewerkstelligen, ohne sich dabei die Zunge oder die Lippen aufzureissen. Die Dornen stehen so dicht beieinander, dass die hier beschriebene Methode nicht wirklich funktionieren kann. Aber vielleicht zeigen sie ja hauptsächlich in eine Richtung. Damit könnte die Giraffe die Blätter von der anderen Seite mit der Zunge angeln.

Das Beste an den Giraffen ist aber ihr wiegender Gang. Sie schaukeln gemächlich an mir vorbei, werfen einen unbeteiligten Blick nach unten und verfolgen von da oben aus den Lauf der Dinge, unberührt von den Fährnissen der Welt und des irdischen Daseins der Winzlige zu ihren Füssen. Sie wirken, als ob sie nicht wirklich von dieser Welt wären. Ihrem außerirdischen Charakter eingedenk ist es auch nicht verwunderlich, dass es ein Sternbild 'Giraffe' gibt. Der majestätische Hals macht deutlich, seit wann Europäer um die Existenz von Giraffen wissen. Es wurde bereits im 17. Jahrhundert beschrieben, um eine vermeintliche Lücke im Sternenhimmel der nördlichen Hemisphäre zu schließen.

Die Puschel auf den Hörnern liefern übrigens einen leicht erkennbaren Anhaltspunkt, um die Geschlechter zu unterscheiden. Giraffen-Kühe tragen, wie ich jetzt gelernt habe, diese zauberhaften Puschel, Giraffen-Bullen sind an dieser Stelle kahl.

13. Juli 2008

Prolog: Glauburg-Stockheim - Lauterbach

Tour-Tagebuch: Der Berg ruft!

Das war heute die Übungsetappe für die geplante Radtour im August: 77 km mit 423 zu überwindenden Höhenmetern, deren Hauptteil sich im Laufe von 20 Kilometern zwischen Ortenberg und dem Col de Hartmannshain unüberwindlich übereinander türmen. Schroffe Basaltfelsen, die schrundigen Klüfte des Vogelsbergs und schließlich die sanften Hügellandschaften der mittelhessischen Provinz.

Wir nahmen die Etappe heute früh von Glauburg-Stockheim aus in Angriff. Dabei haben wir einen kurzen Blick auf das Grab des Keltenfürsten geworfen. Allerdings mussten wir dafür den ganzen Glauberg hochfahren - und so war unser Einstieg in den Vulkanradweg ja nicht gedacht. Ich hatte beim Einstieg leichte technische Probleme, so dass C. in Führung ging. Der neutralisierte Start erfolgte dann glücklicherweise erst in Stockheim, als es mir gelungen war, meine technischen Schwierigkeiten zu ignorieren.

Von Stockheim aus ging es zunächst eben bis Ortenberg. Kurz hinter Ortenberg folgte dann aber der erste, bereits recht scharfe Anstieg auf die Höhe von Hirzenhain. Bei km 20 passierte die Strecke Gedern. Von dort aus schraubte sie sich Haarnadelkurve um Haarnadelkurve unerbittlich in luftige Höhe. Man biegt um eine Kurve und steht vor einer Wand! Am Ende der trotz trockener Bedingungen an der Strecke anspruchsvollen Steigungen erreichen wir den Col de Hartmannshain, den höchsten Punkt der Strecke. Auf der offenen baumlosen, durch Windrotoren gekennzeichneten Höhe wehte ein strammer, leicht von vorn kommender Wind.

Am Col de Hartmannshain gab es die erste und einzige Bergwertung dieses Tages, bei der ich natürlich in Erwartung der Verpflegungsstelle die maximale Punktzahl einstreichen konnte. Die erste Etappe werde ich daher im gepunkteten Trikot fahren können. Hinter der Verpflegungsstelle (die uns im übrigen prima mit Vanilleeis mit heißen Kirschen versorgt hat) stürzt sich die Route ebenso schroff, wie sie im Vorfeld anstieg, wieder hinunter. Am Fuße dieses langen und schwierigen Abstiegs, der högschde Konzentration erforderte, lag C. in Führung und sicherte sich damit das grüne Trikot für die erste Etappe.

Zwischen Grebenhain und Herbstein verläuft die Strecke relativ eben. Wir wechselten uns in der Führungsarbeit ab und machten eine kurze Stretch-Pause. Von Herbstein, wo wir den in der Karte eingezeichneten Galgen vergeblich gesucht haben, führt die Route dann wieder steil abwärts bis nach Lauterbach. Der Bahnhof liegt am anderen Ende. Die Strecke führt über Kopfsteinpflaster und unsere gequälten Hinterteile haben aufgejault. Am Ende (und nach zweieinhalbstündigem Amüsement in der Bahn) haben wir es dann aber dennoch geschafft und sind wohlbehalten und ohne größere Blessuren wieder daheim.

9. Juli 2008

Muskelkater

Tübingen, Nachmittag mit Schäfchenwolken

Noch immer bin ich in der schwäbischen Provinz. Aber soviel Ruhe und Abgeschiedenheit hat auch seine Vorteile. Ich komme richtig in Ruhe zum Denken - Muße ist ein schönes Wort dafür.

Tübingen ist, wie sein italienisches Pendant, auf mindestens sieben Hügeln erbaut. Egal, wo man herkommt und egal, wo man hinmöchte - ersteres ist stets unten und letzteres immer oben. Um in den Lessingweg zu gelangen, muss ich eine lange, gewundene Straße den Hügel hinauf nehmen. Und die ist ziemlich steil. Sogar die Fahrspuren für den motorisierten Verkehr mussten geteilt werden, weil es dort nicht genügend Platz gibt für zwei nebeneinander. Auf dem Weg zum Institut habe ich die Auswahl zwischen einem langen, steilen, gewundenem Anstieg und einer Treppe mit mindestens hundert Stufen. Letztere ist mir meist lieber. Allerdings leiden auf Dauer die Knie erheblich. Mit Blick auf meine höchstpersönliche Mobilität könnte ich auf die Hügel gut und gern verzichten.

Gestern war ich im Sportstudio trainieren. Dort konnte ich festgestellen, dass die Tübinger im Vergleich zu denen zuhause von vornherein schätzungsweise zwanzig Pfund mehr auf solche Maschinen packen, mit denen Beinmuskeln trainiert werden können. Was lernen wir daraus? Die Tübinger haben dank ihrer Trepp-ab-Hügel-auf-Topographie alle ziemlich muskulöse Oberschenkel. Sie gucken auch ziemlich verbissen. Ob das auch an den Hügeln liegt?

7. Juli 2008

Lessing statt Voltaire

Tübingen, kurz vorm Abendessen in der schwäbischen Provinz

Mal eben Voltaire gegen Lessing eingetauscht. Jetzt frag ich mich natürlich, ob das so eine gute Idee war. Aber Tübingen ist sehr gemütlich, schwäbisches savoir vivre, wenngleich vielleicht auch nicht mit französischer Eleganz. Aber gut gehen lassen kann man es sich schon hier.

Im Augenblick bescheint die Sonne die Altstadt weiter unten vor meinem Fenster. Ein Lüftchen säuselt durch die Blätter, die leise rascheln. Ich habe im Lessingweg Quartier bezogen. Eigentlich hat Tübingen, soweit ich sehen kann, sonst nichts mit Lessing zu tun. Aber immerhin war Lessing ein Zeitgenosse Voltaires und die beiden sind sich wohl auch begegnet, wenn auch in Berlin und nicht in Tübingen.

6. Juli 2008

Café Le Voltaire

Argenton-sur-Creuse: Blaue Stunde am späten Nachmittag

"Le travail éloigne de nous trois grands maux: l'ennui, le vice, et le besoin."
Candide, ou l'optimisme, Francois Marie Arouet Voltaire

Nach ein paar regnerischen Tagen sitzen wir jetzt verträumt, aber immerhin trocken vor dem Café Le Voltaire. Die Sommer-Schule neigt sich ihrem Ende und bald geht es wieder nach Hause ins Hamsterlaufrad.

Das soll mich aber nicht davon abhalten, hier nochmal über einem Demi zu philosophieren. In Ruhe geht das sowieso alles viel besser als daheim, wenn die Gedanken einander durch mein Hirn hetzen. J. zufolge hängt das alles mit meiner mehr oder minder calvinistischen Erziehung zusammen. Ich gönne mir keine Pause, weil ich ständig in Betrieb sein muss; sonst fühle ich mich schuldig. Da ist durchaus was dran. Aber was hilft da die Selbsterkenntnis? Wenn man doch willentlich nichts daran ändern kann? Schuldgefühl ist nunmal mit Ratio nicht beizukommen.

Argenton-sur-Creuse ist jedenfalls der entspannten Betrachtung eigener Mängel zuträglich. Ich weiß zwar immer noch nicht, wie ich mein Problem lösen kann, aber ich arbeite dran.

25. Juni 2008

Im Herzen Frankreichs

Nachmittag in Argenton-sur-Creuse

Seit zwei Tagen bin ich wieder in Frankreich. Diesmal war mein Aufenthalt in Paris aber nur sehr kurz - eine Nacht. Es ging sofort weiter nach Argenton, und das liegt mitten in Frankreich. Wirklich mitten drin. Geologisch gesehen befinden wir uns genau an der Grenze zwischen dem Pariser Becken und dem Massif Central.

Wenn man sich hier so umtut, merkt man sehr schnell, dass es überraschend wenig Vorbehalte gegenüber Deutschen gibt. Da ich Frankreich auch schon anders erlebt habe, ist das sehr angenehm. Im Gegenteil: Hier in Argenton ist Frankreich genau so, wie sich das ein romantisches deutsches Hirn zusammenspinnt. In der Ortsmitte gibt es zwei Cafés, natürlich genau gegenüber gelegen und getrennt durch die Hauptstrasse. Und selbstverständlich ist es eine Glaubensfrage, ob man nun das eine oder das andere frequentiert. Ansonsten gibt es nicht viel: einen Laden, Enten in der Creuse, in der angeblich gebadet werden kann, ein Supermarkt draußen auf der grünen Wiese. Das mit dem Bad habe ich noch nicht ausprobiert. Ehrlich gesagt hat die Creuse dank hunderter kleiner Dämme eine Respekt einflössende Stroemung. Es badet auch keiner drin; aber es wird geangelt.

Die Menschen haben Ecken und Kanten, echte Charaktere eben. Sie sind aber alle sehr freundlich, wenn man erstmal durch die kratzbürstige Schale gedrungen ist. Ein bisschen Geknurre gibt es immer, aber das ist bei uns auch nicht anders, wenn man mit einem Haufen quietschiger Studenten irgendwo hin kommt.

21. Juni 2008

Jeanne d'Arc mit Levallois-Kern

Argenton-sur-Creuse: Nachts am Küchentisch

Übermorgen geht es schon wieder nach Frankreich, nach Argenton-sur-Creuse diesmal. Argenton liegt südlich von Paris, etwa zwei Stunden Autofahrt. Das ist die Gegend, in der sich Jeanne d'Arc herumgetrieben hat - und eben auch mittelpaläolithische Menschen. Die Gegend ist bestimmt schön, aber das Wetter wird durchwachsen sein. Und ob wir in diesem Jahr einen Swimming Pool im Hotel haben werden, ist auch noch nicht so ganz klar. Naja, wir werden sehen.

31. Mai 2008

Herrentiere - Primates

Nach dem Regen

In Des deutschen Spießers Wunderhorn hat Gustav Meyrink im Jahr 1913 eine wunderbare Spottgeschichte zum Thema 'militärischer Patriotismus' publiziert: Schöpsoglobin. Dabei handelt es sich um einen Impfstoff, der von Prof. Dredrebaisel entwickelt wurde. Um Schöpsoglobin zu herzustellen, wird zunächst ein Kalb gegen Pocken geimpft. Man gewinnt das Serum und impft damit ein Faultier sowie einen Schöps, also "ein männliches, aber chirurgisch korrigiertes Schaf" - daher der Name. Beim Kalb hatte Prof. Dredrebaisel beobachtet, dass der Pockenimpfstoff eine Art 'Vaterlandsverteidigungstrieb' auslöste. Der amerikanische Schlaufuchs, der dem deutschen Profesor bei der Vermarktung seiner Entdeckung behilflich war, bemerkte sogleich, dass die Wirkungsverstärkung vermutlich im minderwertigen Denkvermögen des Tieres begründet lag.

Diese beiden Herren, Dredrebaisel und Slyfox begaben sich nun nach Borneo, um ihre Erfindung an Orang Utans auszuprobieren. Den durch Dummheit, Faulheit und fehlende Männlichkeit verstärkten Wirkstoff impften sie zweihundert Exemplaren.

"Die unheilvollen Folgen, die das Zusammensperren so vieler starker Tiere nach sich ziehen sollte, konnte natürlich niemand vorausahnen. Die Schreckensnacht, in der die Affen ihre Käfige zerbrachen und alleskurz und klein schlugen, den Professor D. D. und die malaischen Wärter töteten, hätte bei einem Haare auch Mr. Slyfox (er entrann nur wie durch ein Wunder dem Tode) das Leben gekostet."

Das Schöpsoglobin rief jedoch weitere, unerwartete Nebenwirkungen bei den Orang Utans hervor:

"Von einem sicheren Verstecke aus hatte der Amerikaner genau beobachten können, wie die Affen nach schier endlosem Geschnatter aus ihrer Mitte einen Anführer wählten - und zwar jenes Exemplar, das schon während seiner Gefangenschaft als gänzlich vertrottelt allgemein aufgefallen war - und ihm sodann Goldpapier (!) , das sie in einer zertrümmerten Kiste gefunden hatten, auf das Gesäß klebten. (...) Die Orang-Utans scharten sich nämlich in Trupps, nahmen Äste und Ruten, oder was sie sonst in der Eile erwischten, über die Schulter und zogen eng aneinander geschart, während der Anführer mit wichtiger Miene ein Stück vorausschritt, aufrecht durch die Urwaldpfade. Von Zeit zu Zeit stieß der Goldbeklebte ein schmetterndes: Gwääh - Gwegg, Gwääh - Gwegg aus und dann kam es über alle wie eine finstere Extase."
Schöpsoglobin in Des deutschen Spießers Wunderhorn, Gustav Meyrink

Gegen die solcherart mit Patriomanie geimpften Orang Utans hilft lediglich, sich selbst das Hinterteil entsprechend zu dekorieren. Das schöne Bild oben stammt übrigens aus Alfred Russel Wallaces 'Malay Archipelago' und ist somit knapp 50 Jahre älter als Meyrinks Erzählung. Kurt Tucholsky hat nicht nur Auszüge aus dem Schöpsoglobin seiner Erzählung Der Affe mit dem Leierkasten als Epigraph vorangestellt, sondern auch für einen Kommentar zu den Verhaltensexperimenten Köhlers auf Teneriffa genutzt.

Na, Anfang des vergangenen Jahrhunderts war jedenfalls die Tierwelt noch in Ordnung: Es gab Tiere en masse. Hundert Jahre später können wir von Glück reden, wenn es in Borneo noch zweihundert Orang Utans geben sollte.

30. Mai 2008

Katzen-Jammer

am Küchentisch in morgendlichem Schaffensdrang

Es gibt eine Geschichte von Lovecraft, in der er die grausame Rache der Katzen an einem sadistischen Paar beschreibt. Im Grunde steckt hinter der Geschichte nicht viel, jedenfalls nicht im gleichen Sinne wie in H. P. Wells' Hochöfen.

In Ulthar lebte ein Pärchen, das sein "Vergnügen daran fand, die Katzen der Nachbarn in Fallen zu fangen und umzubringen." Die anderen Bewohner Ulthars stören sich zwar daran, unternehmen aber nichts; denn es ist ihnen immer noch lieber, es sterben Katzen als ihre Kinder. Eines Tages nun kommen Fremde in die Stadt.

"Aus welchem Land die Wanderer stammten, vermochte keiner zu sagen; doch zeigte sich, daß sie seltsamen Gebeten zugetan waren, und daß sie auf die Seiten ihrer Wagen merkwürdige Figuren mit menschlichen Körpern und den Köpfen von Katzen, Falken, Widdern und Löwen gemalt hatten. Und der Führer der Karawane trug einen Kopfputz mit zwei Hörner und einer eigentümlichen Scheibe dazwischen."
Die Katzen von Ulthar, Howard P. Lovecraft

Leser im 21. Jahrhundert nehmen nun wahr, dass es sich offenbar um Reisende aus dem Land der Pharaonen handeln muss, denn wir erkennen Isis' Kopfputz in der Beschreibung wieder. Unter den Reisenden ist ein kleiner Junge, Menes, der ein kleines Kätzchen nach Ulthar bringt.

"Zu dieser sonderbaren Karawane gehörte ein kleiner Junge, der weder Vater noch Mutter hatte, nur ein winziges schwarzes Kätzchen zum Liebhaben. Die Pest war zu ihm nicht freundlich gewesen, hatte ihm jedoch dies kleine bepelzte Wesen zur Linderung seiners Kummers gelassen; und wenn man sehr jung ist, kann man in den lebhaften Possen eines schwarzen Kätzchens viel Trost finden. So lächelte der Junge, den die dunkelhäutigen Leute Menes nannten, viel öfter als er weinte, wenn er mit seinem anmutigen Kätzchen spielend auf den Stufen eines wunderlich bemalten Wagens saß."

Menes' Kätzchen verschwindet nun eines Tages. Die Bewohner Ulthars erzählen ihm von dem finsteren Paar - und was macht Menes? "Und als er diese Dinge vernahm, wich sein Schluchzen tiefem Nachdenken und schließlich einem Gebet."

Damit beschwört Menes merkwürdige Dinge herauf. Isis ist darunter, aber offenbar auch weitere Bewohner des ägyptischen Pantheons wie zum Beispiel Bastet. Am nächsten Tag ziehen die Wanderer weiter. Bald darauf stellen die Bewohner Ulthars fest, dass sämtliche Katzen spurlos verschwunden sind. Für einen Teil ist klar, dass das Verschwinden mit dem alten Paar in Verbindung steht. Andere sind der Meinung, dass Menes' seltsames Ritual das Verschwinden der Katzen bewirkt hat. Beide haben recht, wie sich zeigen wird.

Am nächsten Morgen sind alle Katzen mit einem Mal wieder da - sehr geschmeidig und fett. Sie haben auf Tage hinaus keinen Hunger und wollen nicht fressen. Es dauert eine Weile, bis den Bewohnen Ulthars auffällt, dass im Haus des finsteren Paares kein Licht brennt. Sie schauen nach und stellen fest, dass von ihnen nur sauber abgenagte Skelette übrig geblieben sind.

Die Cats of Ulthar gibt es hier vollständig. Die Geschichte entstand im Jahr 1920. Lovecraft war ausgemachter Katzen-Liebhaber. Vermutlich steckt also gar nichts weiter hinter der Geschichte als der mögliche Verlust eines bepelzten Lieblings.

29. Mai 2008

Schlaumeier, Besserwisser, Nervensägen

Morgens am Küchentisch

Eigentlich hatte ich vor, meine Sammlung von Raubtier-Lyrik noch ein wenig zu erweitern. Es gibt auch noch ein paar gute Kandidaten dafür. Aber vorher kehre ich zu einem anderen Lieblingsmotiv zurück: Joseph Conrad. Hier ist eine hervorragende Charakterisierung aller schlaumeiernden und besserwisserischen Zeitgenossen, die sich in den vergangenen Wochen ganz besonders viel Mühe gegeben haben, an meinen Nerven zu sägen.

"Er war von jenem unwiderstehlichen Drang besessen, seine Kenntnisse mitzuteilen, der untrennbar mit krasser Unwissenheit verbunden ist. Der unwissende Mensch weiß stets über irgendeinen Gegenstand Bescheid, der dann zum einzig kennenswerten Gegenstand wird und das Universum des Ignoranten ausfüllt."
Der Verdammte der Inseln, Joseph Conrad

Ich arbeite daran, diesen Gurkennasen mit yogischem Gleichmut zu begegnen. Aber was macht man, wenn man einem solchen Zeitgenossen bereits auf den ersten Blättern eines Buches begegnet, es sich um die Hauptfigur handelt und man weiß, dass man ihn von nun an lange Zeit an der Backe haben wird? Unterträglicherweise ist die Besessenheit des Protagonisten nun auch noch selbstreflexiv.

"Willems wußte nun alles über sich selbst. Seit dem Tage an dem er unter großen Befürchtungen heimlich den holländischen Ost-Indienfahrer in Samarang verlassen hatte, betrieb er das Studium der eigenen Person, der eigenen Verhaltensweisen, der eigenen Fähigkeiten, also jener das Schicksal bezwingenden Eigenschaften, welche ihn zu der einträglichen Stellung geführt hatten, die er nun einnnahm."

An Conrads Stelle wäre mir zum Weglaufen zumute bei dem Gedanken, die nächsten paar hundert Seiten mit diesem Unsympathen zubringen zu müssen. Aber vielleicht ist die Sektion ja der befriedigendere Weg ...

16. Mai 2008

Feuerspracht

The tyger

Tyger, tyger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Could frame thy fearful symmetry?

In what distant deeps or skies
Burnt the fire of thine eyes?
On what wings dare he aspire?
What the hand dare seize the fire?

And what shoulder and what art
Could twist the sinews of thy heart?
And, when thy heart began to beat,
What dread hand and what dread feet?

What the hammer? what the chain?
In what furnace was thy brain?
What the anvil? what dread grasp
Dare its deadly terrors clasp?

When the stars threw down their spears,
And watered heaven with their tears,
Did he smile his work to see?
Did he who made the lamb make thee?

Tyger, tyger, burning bright
In the forests of the night,
What immortal hand or eye
Dare frame thy fearful symmetry?

William Blake (1794)

9. April 2008

Im Herzen wild










Der Panther

Sein Blick ist vom Vorübergehen der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf. - Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille -
und hört im Herzen auf zu sein.

Rainer Maria Rilke (1902/03)

26. März 2008

Urside Metamorphosen - #2 in weiß

Es war einmal ein kleiner Eisbär, der erblickte das Licht der Welt in einem deutschen Zoo. Damit schien er das große Los gezogen zu haben, denn anders als seinen Artgenossen in der freien Wildbahn tauen ihm nicht Grund und Boden unter seinem pelzigen Hinterteil weg. Leider mochte ihn aber seine Mutti nicht - und deshalb mussten menschliche Eltern einspringen, um ihn großzuziehen. Der kleine Bär bekam also einen Namen und hieß fortan Knut.

Knut war ein putziger und lebhafter kleiner Kerl und die Menschen mochten ihn sehr; so sehr, dass schon bei seinem ersten Ausgang im Alter von drei Monaten Tausende von Besuchern kamen. Extra wegen ihm. Den ganzen Sommer hindurch gingen jeden Tag viele, viele Menschen in den Zoo; die meisten deshalb, weil sie Knut sehen wollten.

Schließlich waren es so viele, dass man Vorkehrungen treffen musste, dass die vielen Besucher Knut überhaupt zu Gesicht bekamen. Den ganzen Tag wollte er schließlich auch nicht draußen rumhängen, nur damit ihn alle begaffen können. Deshalb ließ man die Besucher nur ein paar Minuten gucken und dann mussten sie für andere Platz machen. Außerdem bekam Knut eine eigene Homepage und ziemlich viele Blogs. Hier ist nur das Ur-Knut-Blog verlinkt und hier noch ein anders als Beispiel. So konnte man ihn jederzeit besuchen. Nach ein paar Monaten war Schluß mit dem Knut-Sommer. Er war zu kräftig geworden und das Herumtollen mit ihm zu gefährlich für seinen Pfleger. Zu dem Zeitpunkt war Knut längst ein Medien-Star. Unabhängig davon, wie er heute wirklich ausschaut, bleibt er im Netz immer klein, weiß und puschlig und hat schwarze Knopfaugen.

Die schlechte Nachricht ist: Der ganze Hype um Knut hat nicht dazu geführt, dass sich irgend jemand ernsthaft um die Eisbären und ihren Lebensraum außerhalb des Zoos Gedanken machen würde. Da ist es gut zu wissen, dass uns mit Flocke und Wilbär auch diesen Sommer wieder der mediale Eisbär-Overkill erwarten wird. Bleibt zu hoffen, dass wir es diesmal besser machen. Dann gibt's vielleicht auch noch in 50 Jahren freie, wilde Eisbären in der Arktis - und nicht nur solche im Zoo.

Urside Metamorphosen - #1 in braun

Es war einmal ein jugendlicher Bär. Der wohnte in einem italienischen Naturpark in den Alpen. Der Bär hieß JJ1. Er war ein unternehmungslustiger Geselle. Deshalb beschloss er eines Tages, einen kleinen Ausflug zu machen. JJ1 machte sich also auf den Weg. Nachdem er eine Weile so vor sich hingewandert war und sich an der Natur rings um ihn her ergötzt hatte, führte ihn sein Weg auch nach Österreich und nach Deutschland.

Damit hatte er etwas Verbotenes getan. Er hatte nämlich mehrfach die Grenze überschritten. Aber davon wußte JJ1 nichts. Leider wußte er auch nicht, dass er hierzulande nicht so einfach mir nichts, dir nichts Futter fangen darf. Sein Hunger kostete gut zwei Dutzend Schafen das Leben, was eigentlich nicht so viel für einen jungen Bären in der Blüte seiner Jugend ist. JJ1 musste ja auch noch wachsen. Die Schafe waren auch nicht schlau genug auseinanderzulaufen, wenn ein Bär plötzlich inmitten ihrer Herde auftauchte. Schafe sind ein bisschen verschnarcht und bleiben immer beieinander. Das machte es JJ1 leicht, sie zu erbeuten.

JJ1, der mittlerweile auf den Namen Bruno getauft worden war, machte auf der Schafsjagd seinen ersten schweren Fehler. Weil nämlich Schafe durch ihr Fluchtverhalten reflexartig die Tötungshandlung auslösen, biss Bruno mehr Schafe tot, als er aufessen mochte. Da waren seine Augen wohl größer als der Magen gewesen. Und das gewöhnt man ja bekanntlich schon kleinen Kindern ab. Die Bauern, denen die Schafe gehörten, begannen zu murren. "Warum reißt der blöde Bär soviele Schafe, wenn er sie doch gar nicht essen mag! Wer ersetzt uns denn jetzt unsere Schafe?" riefen sie und verlangten Kompensation, wenn nicht gar Rache.

Und dann tat Bruno etwas gänzlich Unverzeihliches: Eines Nachts plünderte er den Hasenstall eines kleinen Mädchens. Und kleine Mädchen, die zur besten Sendezeit in den Abendnachrichten in aller Öffentlichkeit in die aufgestellten Mikrofone schluchzen, machen ganz, ganz schlechte Presse. Das wußten auch die Politiker in Bayern. Der Bär musste weg! Da war man sich einig. Es wurde beschlossen, sich Brunos zu entledigen. Aber was sollte man nun machen? Das Problem war groß, bärig groß. Normalerweise hieße das, dass man Bruno mit Knallfröschen und Gummigeschossen solange nervt, bis er freiwillig wieder abziehen würde. Weil Bruno wegen der blöden Sache mit den Schafen aber als Problembär angesehen wurde, beschloss man, Nägel mit Köpfen zu machen und ihn zur Strecke zu bringen. Nachdem alle Versuche, ihn lebendig einzufangen, gescheitert waren, wurde er am Morgen des 26. Juni auf der Kümpflalm gestellt und erlegt. Bruno war der erste große Beutegreifer, der sich seit über 170 Jahren freiwillig auf deutsches Staatsgebiet verlaufen hatte.

Jetzt ist Bruno wieder auferstanden aus Ruinen. Im Museum in München können ihn nun alle gefahrlos bewundern - sogar Schafe und kleine Mädchen.

Schneegestöber

Schon wieder Licht an am Küchentisch

Jetzt schaut euch bitte das mal an:

Frechheit! Es ist Ende März und nachdem es jetzt monatelang keinen Winter gegeben hat, kamen gestern die Monsterschneeflocken geflogen. Handtellergroß und kugelrund. Aber jetzt langt's trotzdem und ich finde, es wird Zeit für Frühlingsgefühle!

21. März 2008

Magenverstimmung

Draußen nächtliches Schneetreiben

Jean-Christophe Grangés Flug der Störche wurde heute ausgelesen und direkt danach weggeworfen. Das Buch ist ein abscheuliches Machwerk. Alles was es dazu noch zu sagen gibt, hat Krimi-Mimi auf der Krimi-Couch hinterlassen, nämlich hier.

16. März 2008

Defibrillieren in der Straßenbahn

Fliegende Wolkenhaufen vorm Fenster

Mein Lieblingsautor Jean-Christophe hat sich dem öffentlichen Personennahverkehr in Sofia gewidmet. Getting around in Sofia mit Jean-Christophe:

"Auf nassem Kopfsteinpflaster holperten die Ladas, gerieten ins Schleudern und hüpften mitunter wie altmodisches Spielzeug; oft schafften sie es nur mit Mühe, den Straßenbahnen auszuweichen, die allgegenwärtig waren und die eigentlichen Helden der Straße: mit ohrenbetäubendem Getöse tauchten sie aus dem Nichts auf und schickten blaue Blitze in den Gewitterhimmel. Durch die Fenster sah ich, wie die trübe gelbe Beleuchtung auf den verschlossenen Gesichtern der Passagiere flackerte und schließlich erlosch, und diese sonderbaren Wagen erschienen mir fast wie der Schauplatz eines makabren Experiments - eines kollektiven Elektroschocks, bleich und unheimlich, vorgenommen an blutleeren Versuchspersonen."
Der Flug der Störche, Jean-Christophe Grangé

Hier fährt man ja in gewissem Sinne mit praktisch schon Toten in der Straßenbahn. Die Anämie der Transportfälle deutet auf Blutsauger und Vampire hin. Für J.-C. muss Sofia offenbar mitten in Transsylvanien liegen. Bulgarien, Rumänien, wer weiß das schon so genau? Und da Bram Stoker selbst es mit der Geografie der Karpaten bereits nicht wirklich genau nahm, kann man J.-C. kaum einen Strick daraus drehen. Bei den neuen EU-Mitgliedern blickt sowieso keiner mehr richtig durch, jedenfalls J.-C. nicht... Das ist ein bisschen unfair, denn das Buch stammt im Original von 1994. Und wer konnte zu diesem Zeitpunkt schon wissen, dass Länder des ehemaligen Warschauer Paktes nur zehn Jahre darauf der Europäischen Union beitreten würden.

Obwohl ja die elektrischen Blitze der Straßenbahnen eigentlich mehr an den Defibrillator und die Gebärmaschine von Baron Viktor Frankenstein erinnern. Aber der hat ja in Ingolstadt Tote zum Leben erweckt und kam nicht mal in die Nähe von Bulgarien, Rumänien oder der Karpaten. Am Ende besteigt er in Archangelsk ein Schiff, um die von ihm erweckte Kreatur wieder einzufangen. Zwischen Archangelsk und Sofia liegen mehr Gebirge als nur die Karpaten; zum Beispiel auch der Ural.

Dem Flug der Störche folgend mutet uns Jean-Christophe ein ziemliches Reisepensum zu. Es wird noch nach Afrika gehen und darauf bin ich schon sehr gespannt. Sollte dabei etwas herauskommen, was nicht zu peinlich für den guten J.-C. ausgeht, werde ich mit Sicherheit darüber berichten.

14. März 2008

Tibet

Ob Tag oder Nacht und ganz egal, wo auf diesem Planeten!

Bilder und News gibt es hier.

12. März 2008

Geisterstunde

Eine mondlose Nacht am Küchentisch

"White on white translucent black capes
Back on the rack
Bela Lugosi's dead
The bats have left the bell tower
The victims have been bled
Red velvet lines the black box
Bela Lugosi's dead
Undead undead undead
The virginal brides file past his tomb
Strewn with time's dead flowers
Bereft in deathly bloom
Alone in a darkened room
The count
Bela Logosi's dead
Undead undead undead"
Bela Lugosi's dead, Bauhaus

Heute mal ein kleiner Ausflug nach Transsylvanien. Ich habe jedenfalls wahrhafte Horrortrips hinter mir die letzten Tage. Da hilft nur eine kleine Dosis Bela Lugosi, der so schön theatralisch dämonisch und leidend sein kann. Das hat ausser ihm in auch nur annähernd vergleichbarer Weise nur noch Vincent Price als Dr. Phibes fertig gebracht:

"My love, precious jewel and noble wife. Severed, too quickly, too cruelly from this life. I alone remain to give delivery of your pain. Nine killed you. Nine shall die. Nine times, nine! Nine killed you! Nine shall die! Nine eternities in doom!"
Dr. Anton Phibes in The Abominable Dr. Phibes

Jetzt darf natürlich auch der letzte in der Runde, Boris Karloff, nicht fehlen. Dafür müssen wir allerdings nach Ägypten, zum Grabe Im-ho-teps. Sorry, aber gegen Boris Karloffs hypnotische Augen kommen moderne Schauspieler aller Tricktechnik zum Trotz nicht wirklich an. Unvergessen ist er auch als Kopf einer Sekte von Teufelsanbetern in The Black Cat. Dort spielt er den Architekten Hjalmar Poelzig und sprach die folgenden, legendären Sätze:

"The phone is dead. Do you hear that, Vitus? Even the phone is dead. "
Hjalmar Poelzig in The Black Cat

4. März 2008

Radioaktives Quecksilber II

Noch dunkel am Küchentisch

Ich habe eine neue Landschaftsbeschreibung bei Jean-Christophe Grangé, dem Meister des Adjektivs, gefunden. Diesmal handelt es sich um den Genfer See kurz vor einem Sommergewitter. Das Gewitter muss allerdings dann wegen Leichenfund ausfallen.

"Am Himmel ballten sich bläulichschwarze Wolkenmassen, zwischen denen glashelle Abgründe klafften, und ein heißer Wind wehte aus allen Richtungen. Ich fuhr in einem gemieteten Kabrio am Ufer des Genfer Sees entlang. In einer Kurve tauchte Montreux auf, wie ein Schemen in der elektrisch geladenen Luft. Der See schlug unruhige Wellen, und die Hotels schienen, trotz der Touristensaison, zu düsterem Schweigen verurteilt."
Der Flug der Störche, Jean-Christophe Grangé

Falls ihr den ersten Teil des 'radioaktiven Quecksilbers' verpasst habt, ist er hier zu finden.

28. Februar 2008

Partitur der Finsternis

Ein Tisch in der Finsternis

Ich habe gerade die Partitur des Todes von Jan Seghers zuende gelesen. Darin geht es unter anderem um das Tagebuch eines Juden in Auschwitz. Sich damit zu konfrontieren ist ausgesprochen schmerzhaft. Es muss auch wehtun. Wenn mich dies nicht mehr anrührte, dann wäre ich tot oder völlig entmenscht. Was die Partitur in meinen Augen wohltuend auszeichnet, ist die aufrichtige und ehrliche Haltung zum Grauen, Verdrängung inklusive. Anders ist es unerträglich. Es kann nicht darum gehen, sich das Grauen ständig bewußt zu machen und darum zu wissen:

"Ihr wißt das schon. Ich auch. Nicht an Wissen mangelt es uns. Was fehlt, ist der Mut begreifen zu wollen, was wir wissen, und daraus die Konsequenzen zu ziehen."
Durch das Herz der Finsternis, Sven Lindqvist

27. Februar 2008

Ein Tag in Basel

Basel, Regenwetter hinterm Fenster

Den gestrigen Tag habe ich in Basel verbracht. Glücklicherweise blieb auch ein bisschen Zeit, durch die Altstadt zu streifen. Normalerweise sieht man von Basel ja nur den Grenzübergang, die Bahnhöfe oder die Autobahn. Grenzübergänge machen mir immer etwas Angst. Bahnhöfe erinnern mich an Rangierwerke; sie sind Übergangsstellen, aber im Normalfall kein Ort, an dem man Zeit verbringt. Na, und wenn man Basel auf der Autobahn tangiert, dann sieht man wirklich nur den Hinterhof: erst viel Chemie und am Ende die Feldschlösschen-Brauerei.

Wenn man sich aber, so wie ich gestern, mal zum Bleiben entschliesst, entpuppt sich Basel als wirklich faszinierendes, jahrhundertealtes Pflaster. Aufgrund der Stippvisite habe ich leider nicht alle Jahrhunderte geschafft. Und da ich mich konzentrieren musste, bin ich ins Kaufhaus Pfauen. Gibt es einen besseren Ort zur Erkundung moderner Alltagskultur? Ich glaube nicht. Ein bisschen Basel und Schweiz habe ich dann noch mit nach Hause nehmen dürfen: ein Chääs-Fondue. Dafür kam ich gestern zwar zu spät nach Haus; es hält sich aber erfahrungsgemäß in unserem Haushalt nicht lange. Stock, Peitsche und See hat's hier zwar nicht, Orgie und Lippengrün aber schon.

19. Februar 2008

Trügerische Hoffnungen

Finstere Nacht am Küchentisch

"Wo die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten."
Ton Steine Scherben

Ich habe schon wieder einen wirklich schwermütigen Gegenstand, nämlich trügerische Hoffnungen und vermeintliche Gewissheiten. Deshalb muss ich diesem post ein Mut machendes Motto voranstellen. Vollständig betrogen werden vermeintliche Gewissheiten beispielsweise in diesem Fall:

'My name is Ozymandias, king of kings:
Look on my works, ye Mighty, and despair!'
Nothing beside remains. Round the decay
Of that colossal wreck, boundless and bare
The lone and level sands stretch far away.
Ozymandias, Percy Bysshe Shelley (1817)

Ozymandias ist Wikipedia zufolge die gräzisierte Version des Thron-Namens von Ramses II. Er hat sich ein Denkmal errichten lassen - aber alles, sein Reich, seine Macht, seine Bauten, was immer er geschaffen hat - ist zerfallen. Sein Denkmal liegt zerschmettert im Sand der Wüste. Das ewige Lächeln auf den steinernen Lippen hat die Referenz verloren. Die Bedeutungen sind auseinander gefallen, wie auch die physischen Hinterlassenschaften. Die Ironie in Shelleys Gedicht ist, dass die Verzweiflung das einzige ist, was bleibt - allerdings nicht aus den Gründen, die Ramses sich bei der Errichtung des Monuments erhofft haben mag. Shelleys Verzweiflung währt ebenso ewig wie Dantes Höllenpforte und die Qualen, die sich dahinter verbergen.

Mein zweites Beispiel ist dagegen sehr viel persönlicher. Hier geht es um eine junge Frau, die ihr Glück in der Stadt sucht und trotz Rückschlägen nicht hin nimmt, dass sich die Hoffnung darauf als trügerisch erweisen könnte:

"Unterkriegen lassen will sie sich nicht. Ist sie doch hier in München, in der Stadt, um ihr Glück zu machen. Und das Glück, das würde sie schon machen. Da ist sie sich sicher. Ist sie doch ein hübsches Mädchen. Jeder kann das sehen. Sie selbst kann es sehen, wenn sie an den Schaufenstern vorbeigeht. Ihr Glück wird sie machen, da ist sie sich sicher. Ihr Glück."

Als sich kurz darauf der letzte ihrer Glücksmomente in Luft auflöst, erkennt sie, dass sie ihr Glück längst gemacht hatte. Sie erkannte das nicht rechtzeitig und so hat sie es wieder verloren, ohne es recht zu bemerken.

"(...) was hätte sie ihm auch sagen sollen, da sie selbst nicht wusste, was sie heute machen, wo sie hingehen würde. Was hätte ihr das genützt, oder hätte sie ihnen erzählen sollen von den Sommern mit den bloßen Beinen und von dem Glück, dass sie damals empfunden hatte, wie sie mit ihren Füßen durch die Pfützen gewatet ist. Hätte sie ihm sagen sollen, dass jene Sommer die besten in ihrem Leben waren und dass sie (...) ahnte, nein wusste, dass es auch die besten Sommer in ihrem ganzen Leben bleiben würden."
Kalteis, Andrea Maria Schenkel

Kathie, die junge Frau, von der hier die Rede ist, hatte nicht die Ewigkeit im Sinn. Sie hat nur auf ein kleines Eckchen persönliches Glück gehofft - Matsch zwischen den Zehen eben. Aber wie auch im Fall von Ozymandias hat das Schicksal es anders gewollt. Beider Pilgerfahrten endeten vor dem Purgatorium.

18. Februar 2008

Ewigkeit

Am heimischen Küchentisch in rabenschwarzer Nacht

Ich muss mich erden, so mächtig sind die Verse und Nachdichtungen, die ich heute zum Besten gebe. Beginnen wir mit der Inschrift auf Dantes Höllenpforte:

Durch mich gehts hin zur Heimstatt aller Plagen.
Durch mich gehts hin zur ewig langen Pein,
Durch mich zum Volke, das von Gott geschlagen.
Mich schuf mein Schöpfer, um gerecht zu sein;
Göttliche Allmacht, höchste Weisheit waren
Am Werk, mit erster Liebe eins in drein.
Vor mir war nichts Erschaffnes, was an Jahren
Nicht ewig: selber währ ich ewiglich.
Laßt, die ihr eingeht, alle Hoffnung fahren!
Divina Comedia (3. Gesang, Verse 1-9), Dante Alighieri (um 1320)

Warum die Hoffnung fahren lassen? Hinter der Höllenpforte erwarten den Besucher die neun Höllenkreise, wobei sich Sünden und Gräuel sukzessive steigern. Die Besucher müssen alle Höllenkreise durchschreiten, um zum Purgatorium, dem Fegefeuer, zu kommen, wo die Seelen möglicherweise Erlösung finden. Die Sünder haben jedoch, anders als die Besucher, keine Gewißheit, in das Purgatorium zu gelangen. An der Höllenpforte müssen die Sünder zunächst alle Hoffnung fahren lassen, denn das Fegefeuer und damit Aussicht auf Vergebung ist nicht gewiss. Schlimmer noch, die Höllenkreise sind selbstverständlich ewig und damit auch die Höllenpforte - und das gilt möglicherweise auch für die Buße für ihre Sünden.

Reiseliteratur ist Dantes Göttliche Komödie deshalb, weil hier der Aufstieg von den Höllenkreisen durch das Purgatorium ins Paradies ganz direkt anhand einer Wanderung erzählt wird, eine Metapher für eine Pilgerfahrt. Was immer die Wanderer entlang ihres Weges sehen und beobachten, sie werden am Ende Erlösung finden.

15. Februar 2008

Kulturgut Blutwurst

Noch nicht hell

Im Gefolge meiner gestrigen Hommage an Matthias Beltz habe ich Blutwurst-Recherchen betrieben. Dabei bin ich auf die Blutwurstmanufaktur gestossen, einem Webshop für alle Produkte rund um die preisgekrönte Blutwurst. Geleitet wird die Blutwurstmanufaktur vom Blutwurstritter Benser. Den Orden der Blutwurstritter (Confrérie des Chevaliers du Goûte Boudin) gibt es übrigens wirklich. Die veranstalten einmal im Jahr einen Blutwurst-Wettbewerb mit Hunderten von Teilnehmern.

Das schönste an der Blutwurstmanufaktur ist aber, dass es auf ihrer Website einen Eintrag zum Thema 'Produktphilosophie' gibt. Nun wüßte ich nicht, was es an der Philosophie des Produkts 'Blutwurst' mißzuverstehen geben könnte. Peter Kubelka - eigentlich Filmemacher, aber mit Tendenz zum Koch - hat sich im Rahmen einer im Fernsehen ausgestrahlten Diskussion zum Thema 'Naturverhältnisse - Das Tier als Lebensmittel' vor einer ganzen Weile mit folgenden Worten als Philosoph der Wurst geoutet:

"Eine Bockwurst ist ein paradiesisches Tier. Dieses hat eine Außenhaut, einen ganzen Körper und enthält nichts, was man nicht sofort essen kann - man muss nichts ausspucken, keine Gräten rausziehen oder Knochen brechen. Es ist mit Gewürzen und Düften, die zu meiner Kultur gehören, zu einer Metapher verbunden."
Peter Kubelka

Die Wurst ist also Teil des vertrauten kulturellen Kontextes oder, anders ausgedrückt: Wurst ist Heimat! Die Produktphilosophie der Blutwurst im Sinne der gleichnamigen Manufaktur ist allerdings pragmatischer und eher morgens um sechs in der Wurstküche angesiedelt. Man hört die Schweine zwar nicht mehr grunzen, aber saftig und dampfend scheint es dennoch zu sein. Übrigens besteht die Philosophie des Produkts Blutwurst laut Manufaktur im Wesentlichen im eigenhändigen Zerlegen und in der Umsetzung großväterlicher Rezepte. Überhaupt scheinen die Österreicher ein zärtlicheres und sinnenfroheres Verhältnis zur Wurst zu haben als Deutsche, wie auch dieses Bild zeigt: Sitzkomfort im Deix-Museum in Krems. Der Unterschied ist: In Deutschland kommt die Wurst aus der heimatlichen Küche, in Frankreich aus der adeligen Ritterschaft und in Österreich direkt aus dem Paradies.

14. Februar 2008

Hessen und die Welt

Nächtens am Küchentisch

"Entscheidend aber ist, daß Hessen ein Ort des Durchgangs ist, Völkerwanderungen und Kriegsbewegungen stapften hier durch, von Ost nach West und später mehr von West nach Ost, von Süd nach Nord und umgekehrt, aber nie war Hessen das Ziel, nie ist heute noch Hessen das Ziel, in Gießen an der Lahn war das letzte Durchgangs- oder Auffanglager für DDR-Flüchtlinge, aber für die war Gießen nie das Ziel, so wie Hessen nie das wirkliche Ziel ist derer, die hierherkommen und unsere Sprache verachten und unseren Dialekt furchtbar finden und über unseren Apfelwein lachen und über die Küche und darüber, daß selbst Goethe Hessen verlassen hat, so wie Büchner geflüchtet ist aus Gießen nach Zürich, um dort zu sterben.
Hessen ist Transitland, ist eine virtuelle Region, eine Cyber-Heimat vor der Erfindung der Elektronik. Es ist deshalb so unheimlich wie eine Poststation an einer wichtigen Wegkreuzung irgendwo im einsamen Land des amerikanischen Wilden Westens. Hessen haben einen Blick dafür, daß eigentlich niemand zu ihnen will, daß aber die Nacht und die Kälte und der Hunger es erzwingen, die Reise zu unterbrechen. Daher dieser mißtrauische Hessenwitz, schadenfroh bis in die Knochen, hier weht Häme mit im trauten Kneipengespräch. (...)
Das Hessische ist die Mentalität des verlorenen Subjekts, aber es juckt uns nicht, daß wir so unbedeutend sind. Die Hessen durchschauen vielleicht nicht die Geheimnisse der Welt, aber sie erahnen etwas von der Sinnlosigkeit des Hin- und Hergewanders. Die Sturheit und manchmal sogar Dummheit, die uns andere andichten, ist unser Weg des Widerstandes."
Transitland im Mittelpunkt, Matthias Beltz

"Hessen verstehen kann nur derjenige und auch nur diejenige, die die ethnische Sondersituation Hessens kennen. Die Hessen sind umzingelt von lauter Deutschen, haben keinen Zugang zum Meer, zu den Alpen und zum Ausland und daher keinen direkten Kontakt zur Freiheit. Wer Hessen besuchen will, muß vorher durchs Fegefeuer der deutschen Autobahn-, Eisenbahn- oder Flughafenkultur. Nur wenige, die hierherkommen, werden hier seßhaft. Das war schon während der Völkerwanderung so: Alle Völker der Welt sind durch Hessen getrampelt, keins wollte bleiben, was ich verstehen kann, aber die silbernen Löffel haben sie immer gern mitgenommen. Darum ist der Hesse mißtrauisch von alters her, er weiß, er kommt grundsätzlich zu kurz. (...)
Wir Hessen sind nicht stolz, Deutsche zu sein, wir sind stolz, gemein zu sein. Rache ist Blutwurst, sagen wir Hessen, und verhohnepiepeln so den Zusammenhang von Blutdurst und Blutwurst. Nationale Identität, fragen wir, ja braucht man so was, wenn der Kühlschrank voll ist?
(...) Hesse sein heißt, gefährlich leben wollen zu müssen."
Der gemeine Hesse, Matthias Beltz

Ein ganz Großer, der uns furchtbar fehlt und den wir hier noch gut hätten brauchen können! Hier gibts mehr von ihm.

10. Februar 2008

Radioaktives Quecksilber

Im hellen Sonnenschein am Küchentisch

Heute habe ich Herrn Grangés Herz der Hölle fertig gelesen. Für alle Freunde der seichten Lektüre wahrhaft ein gefundenes Fressen. Es ist genau das Richtige, wenn einem bei 40 °C Lufttemperatur an einem der Strände dieses Planeten so langsam das Hirn gebraten wird. Es werden derart viele Akteure eingeführt, dass man selbst bei klarem Verstand den Überblick verlieren muss. Für mein Amüsement hat jedoch gesorgt, dass alles so hyper-realistisch geschildert wird. Jede Zigarette, die der Hauptakteur raucht, ist dem Autor eine Bemerkung wert. Aber trotzdem haut es irgendwie hinten und vorne nicht hin. Über fehlende Tankstellen hatte ich mich in einem früheren Post schon echauffiert. Und schließlich möchte ich euch, gewissermaßen im Sinne eines 'Best-of-Jean-Christophe' seine stimmungsvollen Landschaftsschilderungen nicht vorenthalten.

Beginnen wir mit den winterlichen Pyrenäen: "Eine Landschaft, die der Winter versengt hatte. Nackte Bäume, die verkohlt aussahen. Felder aus Schwarzerde, umgepflügt wie Gräber. Ein weißer Himmel, der ein grelles, radioaktives Licht abstrahlte. Vor diesem Hintergrund ging ich ein paar Schritte zurück und betrachtete den Baum, der einsam an der Spitze der Anhöhe stand. Ein Gefangener der Erde, der sich zum Himmel reckte und vor Kälte versteinert war."

Und ein nebelverhangener Klosterhof in Krakau: "In Polen wurde es früher dunkel. Oder es braute sich ein Gewitter zusammen. Oder meine Wahrnehmung von Hell und Dunkel hatte sich verändert. Als ich zu der genannten Zeit in die Klostergärten zurückkehrte, schien es mir, als wären die Bäume, Sträucher und Kirchenfenster bereits in Finsternis gehüllt. Nur ein quecksilbriges Schimmern hielt sich noch zwischen den Nadeln der Tannen, den Zweigen der Buchsbäume, den Figuren der Glasmalereien an den Fenstern."
Das Herz der Hölle, Jean-Christophe Grangé

Das ist wahrhaft eine Herausforderung für meine Phantasie. Dennoch bin ich froh, dass ich jetzt wieder an etwas Neues kann. Nach knapp 800 Seiten reicht es. Ich bringe es halt nur in Ausnahmefällen fertig, ein einmal angefangenes Buch unausgelesen zur Seite zu legen.

5. Februar 2008

Sicheres Reisen heute

Nachts ist's dunkler als daheim

Während der letzten Tage beschäftigt mich eine Perle der Reiseliteratur: ein Einweg-Produkt von Jean-Christophe Grangé. Wir haben es mit hierbei mit einem Krimi-Autor zu tun. Damit das alle merken, ist der ermittelnde Kommissar Mathieu Durey so unglaublich cool, dass es kaum auszuhalten ist.

Spätestens auf jeder zweiten Seite wird uns sein Waffenarsenal vor Augen geführt. Für einen Waffen-Depp wie mich, die es bislang noch nicht für nötig befunden hat, mich außer mit Schlüsselbund, Schweizer Taschenmesser und Tränengas-Patrone mit weiteren wehrhaften Utensilien auszurüsten, ist das ein Buch mit sieben Siegeln. Macht aber nichts. Jean-Christophe denkt ja beim Schreiben auch an solche Trottel wie mich. Zum Beispiel an der gleich zu zitierenden Stelle.

Vorher kurz noch soviel zum Setting: Den Kommissar hat sein bisheriger Weg mit dem Auto von Paris über den französischen und Schweizer Jura bis nach Mailand geführt. Dabei hat er auf gut 350 Seiten nicht eine Sekunde an einer Tankstelle verbracht. Und dabei hat er mit einem Audi eine Strecke von rund 850 km zurückgelegt! Von Mailand aus nimmt er aber dann den Flieger, weil böse Verfolger (deren Identität mir noch nicht enthüllt wurde) ihn und sein Auto an der italienischen Grenze schrotten wollten, was ihnen im Fall des Wagens auch gelingt. Aus dieser Bredouille hilft ihm unbürokratisch ein Mailänder Kollege; dieser besteht jedoch auf dem Einsammeln sämtlicher Waffen. Scheinbar wehrlos fliegt Durey also nach Catania und berichtet:

"Ich beschloss, außerhalb zu frühstücken, um mich mit der Stadt vertraut zu machen. Doch zunächst setzte ich meine zweite Automatik zusammen, eine Glock, die ich zerlegt hatte, um unbemerkt durch die Sicherheitskontrollen am Flughafen zu gelangen (die Metalldetektoren schlugen bei dieser Waffe aus Kunststoff nicht an), dann steckte ich sie in ihr Futteral aus schwarzem Cordura."
Das Herz der Hölle, Jean-Christophe Grangé

Also Wahnsinn! Habt ihr die didaktischen Wendungen bemerkt? Zum ersten: Durey versteht wirklich was von Sicherheit, denn er hat eine zweite Automatik dabei! Und dann hat er die Waffe zerlegt, damit a) sein Kollege und b) die Security am Airport sie nicht findet. Mittlerweile ist jedoch praktisch jeder flugerfahren und weiß, obacht, am Flughafen hat's Metalldetektoren. Die hätten die Waffe doch finden müssen, egal ob zerlegt oder nicht! Aber, man beachte die Klammer: Eine Glock kann aus Kunststoff bestehen und dann merkt der Metalldetektor nichts. Gerissen! Hier war zwar der Wunsch offensichtlich Vater des Gedankens - aber kleinere Ungenauigkeiten seien Jean-Christophe angesichts des meines Erachtens weitaus gravierenderen Tankstellen-Lapsus nachgesehen.

Und ich hab noch vierhundert packende Seiten vor mir! Helau!

3. Februar 2008

Genug zu tun

Morgensonne am Küchentisch

Seit einer Woche bin ich wieder aus Paris zurück. Wie ich mitgekriegt habe, hat niemand zuhause meine Schwierigkeiten beseitigt und meine Probleme endgültig gelöst. Ich bin also doch unverzichtbar! Was für ein Glück!

29. Januar 2008

Rache - eiskalt und höllisch heiß

Raserei bei Dunkelheit

"La vengeance est un plat qui se mange froid."
Liaisons dangereuses, Pierre-Ambroise-Francois Choderlos de Laclos

Den Text drumherum zum Weiterlesen gibt es hier.

Herbert G. Wells dagegen lässt in der Geschichte Der Gasfang ganz wortwörtlich seinen Nebenbuhler in der Hölle schmoren. Die Geschichte erschien im Jahr 1895, in dem er seine zweite Frau, Amy Catherine Robbins, heiratete. Seine erste Ehe mit einer Kusine hatte keine vier Jahre gehalten - und offenbar hat sie ihn hintergangen. Herbert G. Wells, ganz rachsüchtiges Biest, revanchierte sich mit einer Geschichte. Darin ertappt der Stahlkocher Horrocks seine Frau und ihren Liebhaber Raut in flagranti. Raut versucht ihm vorzuspiegeln, er wollte eigentlich ihn, Horrocks, aufsuchen, weil er ihm versprochen habe, ihm einige schöne Kontrastwirkungen der Hochöfen zu zeigen. Horrocks ergreift die Gelegenheit beim Schopf und führt seinen Widersacher durch Schlackehalden zu den Hochöfen. Als sie sich den Walzwerken nähern, ergibt sich folgende Situation:

"Horrocks deutete auf den Kanal, der jetzt dicht vor ihnen lag: ein unheimlicher Ort im blutroten Widerschein der Hochöfen. Etwa fünfzig Meter weiter oben schoß das heiße Wasser, das die Düsen kühlte - ein stürmischer, fast brodelnder Zufluß, und der Dampf stieg vom Wasser in ruhigen, weißen Schwaden und Streifen auf und legte sich feucht um sie, ein ununterbrochener Gespensterreigen, der aus den schwarzen und roten Wirbeln stieg, ein weißes Emporschweben, das einem die Besinnung raubte. Der glänzende schwarze Turm des Hochofens ragte aus dem Nebel, und sein dröhnender Lärm drang bis zu ihnen. Raut hielt sich vom Rand des Wassers ein wenig fern und beobachtete Horrocks. "Hier ist er rot", sagte Horrocks, "ein blutroter Dampf, rot und heiß wie die Sünde, aber dort hinten, wo das Mondlicht drauffällt und er über die Schlackehaufen kriecht, ist er weiß wie der Tod."

Raut deutet die Anspielungen Horrocks' ganz richtig, begreift aber immer noch nicht, in welcher Gefahr er schwebt. Schließlich erreichen sie den Gasfang des Hochofens. Horrocks erzählt:

"In der Mitte", brüllte Horrocks, "ist die Temperatur fast tausend Grad. Wenn man dich hineinwerfen würde ... du würdest in Flammen aufgehen wie Pulver über einer Kerze. Streck einmal die Hand aus und fühl, wie heiß sein Atem ist. Sogar hier oben noch habe ich das Regenwasser an den Rollwagen glatt in Dunst aufgehen sehen. Und der Gasfang! Höllisch heiß. Nichts, um Kuchen darin zu backen. Auf dem höchsten Punkt dreihundert Grad. (...) Da kocht dir in einer Sekunde das Blut im Leibe!"
Der Gasfang, Herbert George Wells

Muß ich tatsächlich noch erzählen, wie die Geschichte endet? Lest es doch selbst, hier zum Beispiel.

Allein, aber nicht einsam

Des Abends im Boudoir

Am 23. Januar ist Jeanne Moreau, eine ganz Große unter den alleinreisenden Frauen auf diesem Planeten, achtzig Jahre alt geworden. Sie ist eine atemberaubend schöne Frau, immer noch. Ihre Schönheit ist nicht so aufdringlich und platt, wie die derjenigen, mit der sie hier zusammen gezeigt wird. Sie ist ganz geheimnisvoll und man muss ihr nachspüren. Die größte Überraschung ist für mich aber das hier. Hat sie doch Mata Hari gespielt, die Schelmin! Ist das nicht umwerfend und zauberhaft?

In siebzig Tagen zu sich selbst

Dunkelheit umwogt die Beine des Küchentischs

Die letzten Tage habe ich den geheimen Teilhaber von Joseph Conrad gelesen. Eine ziemliche Enttäuschung. Diese Novelle aus dem Jahr 1909 scheint eine Art Fingerübung für Schattenlinie (1917) gewesen zu sein. Sie ist dermaßen überladen mit Symbolen für einen Übergang, eine Initiation, dass man völlig betäubt davon ist. Das ist Psychologie mit dem Vorschlaghammer. Die interessante Frage wäre dann, wie Conrad auf die Idee kam, im Titel das Wort "secret" zu verwenden; subtil ist das alles nämlich nicht. Eine schöne Stelle hab ich dann doch noch gefunden:

"Eine Grupper kahler Inselchen, die an Ruinen von Mauern, Türmen und Blockhäusern erinnerten, erhob sich zur Linken aus dem blauen Meer, das wie erstarrt wirkte, so ruhig und unbeweglich lag es zu meinen Füßen; selbst die Lichtbahn der untergehenden Sonne leuchtete mild, ohne das lebhafte Glitzern, das von einem unmerklichen Gekräusel des Wassers zeugt. Und als ich mich umwandte, um einen Abschiedsblick auf den Schlepper zu werfen, der uns soeben verlassen hatte - wir waren außerhalb der Barre vor Anker gegangen -, sah ich die gerade Linie der flachen Küste in vollkommener Geschlossenheit an das unbewegliche Meer geschmiegt - in einer Ebene, halb braun, halb blau unter der riesigen Kuppel des Himmels."

Es ist ein Bild völliger Ruhe und Bewegungslosigkeit. Und damit das auch der letzte Depp kapiert, folgt auf der nächsten Seite:

"Am Ausgangspunkt einer langen Reise schwamm es ganz ruhig in einer unermesslichen Stille, die untergehende Sonne warf die Schatten seiner Rundhölzer weit nach Osten. In diesem Augenblick war ich allein auf seinen Decks. Kein Laut war an Bord zu hören - nichts rundum regte sich, nichts lebte, nicht ein Kanu auf dem Wasser, nicht ein Vogel in der Luft, nicht eine Wolke am Himmel. In diesem atemlosen Innehalten an der Schwelle einer langen Überfahrt schienen wir unsere Tauglichkeit für das lange und mühevolle Unternehmen abzuwägen, für die Aufgabe, die wir beide vollbringen mussten - fern von jedem menschlichen Auge, nur den Himmel und das Meer als Zuschauer und Richter."
Der geheime Teilhaber, Joseph Conrad

In summa handelt es sich schon um ein Stück Reiseliteratur - auf der Entdeckungsreise zu sich selbst und damit, wie schon gesagt, die Schilderung eines Übergangs, einer Initiation. Allerdings kann man dasselbe auch besser lesen, sogar bei Conrad selbst. Schade!

28. Januar 2008

Kurz noch in die Waschanlage

Paris, Vormittags am heimischen Schreibtisch

Da hatte ich doch gestern auf meiner Rückreise noch ein Abenteuer ganz spezieller Natur. Obwohl man nicht meinen sollte, dass Sonntag früh um sieben Hochbetrieb in Charles-de-Gaulle herrscht, war es dann so. Und da sich unser Abflug unvorhergesehen ein bisschen verzögert hat, fuhr der Pilot mit der Maschine kurzerhand nochmal in die Waschanlage.

Wir standen mit dem Flieger irgendwo in der Flughafenperipherie herum. Dann kamen zwei gangway-artige Gefährte von links und rechts auf uns zugefahren. An deren oberem Ende befand sich eine Kabine auf einer Plattform, in der jeweils der Steuermann oder die Steuerfrau saß. Um sich herum hatten sie jede Menge an Schwenkarmen angebrachte Rüssel und Spritzen, die offensichtlich von der Kabine aus bedient werden konnten. Nachdem sie ein bisschen gerüsselt und gespritzt hatten, schön von hinten nach vorne, kam plötzlich irgendwo her jede Menge Dampf und ich konnte die weiteren Ereignisse nicht mehr mitverfolgen. Ob daher am Ende trockengeföhnt und gewachst wurde, weiß ich nicht. Fest steht jedenfalls, dass die Passagiere das seltene Schauspiel noch mehr genossen hätten, wenn dabei schon mal ein Kaffee serviert worden wäre.

Jedenfalls war das wirklich was Neues für mich. Auf dem Heimweg waren wir dann so sauber, dass wir für den Rückweg keine Stunde gebraucht haben. Merke: Selbst bei kurzen Strecken verlieren dreckige Flugzeuge Zeit und demzufolge Sprit. Wenn sie sauber sind, fliegen sie offenbar geschmeidiger. Das kommt durch den herabgesetzten Reibungswiderstand, wie ich hier rausgefunden habe. Aber wodurch wird ein Flugzeug so hoch oben eigentlich dreckig? Oder lagert sich der Dreck nur dann ab, wenn sie auf den Flughäfen herumfahren? Und wie ist das mit der Reibung? Soll eine Flugzeugoberfläche besonders schmutzabweisend sein? Sehr rätselhaft und mysteriös.

27. Januar 2008

Nach Hause!

Vor Tagesanbruch in der Pariser Cité

Es ist wieder, wie jedesmal, wenn ich auf Reisen gehe: Ich möchte am liebsten sofort ohne Jacke losstürzen und den Lieben daheim in die Arme fliegen. Stattdessen sitz ich hier und muss noch warten. Frühstücken, den Zimmerschlüssel abliefern, den Müll rausbringen usw. usf. Vermutlich werde ich vor lauter Ungeduld auch viel zu früh am Airport sein und dort wieder warten. Schrecklich! Ob das anderen auch so geht, dass sie immer viel zu früh fertig sind und nicht die Hälfte der Zeit brauchen, die sie dafür einkalkulieren? C. ist immer auf den absolut letzten Drücker fertig - das andere Extrem.

26. Januar 2008

Jérôme, Jérôme, le métronome ...

Paris, Lampenlicht am Schreibtisch

... ist leider völlig aus dem Takt geraten, jedenfalls bei der Société générale (Ach, ein Wort mit so vielen accents bringt den kleinen Finger meiner rechten Hand zum Tanzen). Dafür, dass er 5.000.000.000 Euro in den Sand gesetzt hat, sieht er auf den Bildern, die seit heute überall im Netz zu sehen sind, bedauernswert übellaunig aus. Nick Leeson hat nach eigenem Bekunden bei wesentlich geringeren Beträgen schlecht geschlafen. Über Jérôme war heute zu lesen, dass seine Verluste zeitweilig zehnmal so hoch waren. Damit hätten sie den Marktwert der Société weit überstiegen.

Bei solchen Zahlen bleibt mir einfach nur die Spucke weg. Aber natürlich ist das hier Tagesthema Nummer eins. Alle sind völlig fassungslos und schütteln nur den Kopf. Das ist einfach unvorstellbar viel Geld. Wenn man bedenkt, was wir mit so viel Geld für tolle Projekte machen könnten. Bis Ende letzten Jahres sind seine Geschäfte ganz gut gelaufen, hiess es. Richtig in die Knie gingen sie erst seit drei Wochen.

Eigentlich wollte ich heute nochmal mit Lambert auf Entdeckungstour gehen. Daraus wurde dann nichts, weil ich noch Papierkram erledigen musste, der mich dann länger, als vorauszusehen war, aufgehalten hat. Wir hatten vor, auf Shopping-Tour zu gehen. Durch den Papierkram bin ich dann finanziell nicht ganz so aus dem Ruder gelaufen wie der gute Jérôme - aber vermutlich hätte seine Bank mir auch nicht soviel Geld anvertraut.

24. Januar 2008

Paris par Vélib

Paris, abends au bureau

Nachdem ich mich heute schon mal mental auf einen längeren Fußmarsch gefasst gemacht hatte, ist selbiger dann doch ausgefallen. Es wurde nämlich nicht gestreikt, jedenfalls nicht im Pariser Nahverkehr. Eigentlich schade, denn ich hätte mit Sicherheit neue Ecken erkunden können.

Einen ersten kleinen Einblick in den größten Teil des Wegs habe ich aber gestern dann bekommen. Ich war bei Kollegen zum Abendessen eingeladen. Die beiden wohnen nicht weit von hier weg, Denfert-Rochereau, also praktisch auf der anderen Seite des 'Mäusehügels'. Und da alles andere viel zu umständlich gewesen wäre und wir unterwegs noch ein paar Kleinigkeiten eingekauft haben, sind wir kurzerhand zu Fuß gegangen. Das hat ungefähr zwanzig Minuten gedauert. Von einigen Bausünden abgesehen, sind das 13. und 14. Arondissement eigentlich sehr schön.

Für alle Notfälle gibt es hier auch Leihfahrräder. Die stehen an Anschlußboxen, die praktisch über das gesamte Stadtgebiet verteilt sind. Die nächste Vélib-Station ist nie weit weg. Leider ist es nicht ganz einfach, an einen Zugang zu kommen. Man muss einen Pass beantragen. Und nur damit kommt man an ein Fahrrad. Hätte sich vielleicht rentiert, wenn ich früher dran gedacht hätte, denn wie ich mittlerweile auch herausgefunden habe, ist meine morgendliche Métro-Tour ein ziemlicher Limbo.

22. Januar 2008

Allons enfants ...

Am Paris Schreibtisch bei Vollmond

Heute war ich zwar nur im IPH, aber mir wurde trotzdem einiges geboten. Vor der Salpetrière am Ende des Boulevard St. Marcel sammelten sich heute mittag Demonstranten und marschierten dann den Boulevard hinunter Richtung Stadtmitte!

Worum es dabei ging, hab ich nicht wirklich in Erfahrung bringen können. Es waren aber unendlich viele CGT-Fahnen dabei, also öffentlicher Dienst. Den Eisenbahnern sollen die Renten gekürzt werden. Bei Lehrern, Postlern und Finanzbeamten geht es um Gehaltskürzungen und Stellenstreichungen. Hier findet sich ein Artikel vom November letzten Jahres, in dem zusammengefasst ist, worum es seinerzeit ging. Die Demo war jedenfalls laut, bunt und kämpferisch. Wenn sich zuhause nochmal Menschen finden, die überhaupt für eine Demonstration auf die Straße gehen, geht das sehr viel sittsamer zu. Die Polizei hat nichts gemacht, sondern den Demonstrationszug einfach vorüber ziehen lassen. Es hat sich auch niemand darüber erregt, dass potenzielle Vandalen und Krawallmacher durch die Straßen ziehen.

Ich bin wahrhaft beeindruckt von der Stimmung, die die gemacht haben. Die Demonstranten haben zwar Parolen gerufen, aber alle Nase lang fuhr ein Pritschenwagen mit Musik vorbei und hat sie übertönt. Worum es geht, steht ja sowieso auf den Transparenten, dann kann man auch tanzen, singen und den Auflauf genießen. Daneben gab es Rauchbomben, Fackeln und Leuchtraketen. Der Boulevard war bis an die Regenrinnen mit Rauch und Dampf erfüllt. Jedenfalls hatten sie alle ihren Spaß. Ich bin richtig neidisch geworden!

Am Donnerstag wird übrigens die Métro bestreikt. Alle im Institut, die hierbleiben müssen, versuchen sich irgendwie zu organisieren. Hier müssen Streiks in der Métro nämlich vier Wochen vorher angekündigt werden, damit jeder Zeit hat, sich entsprechend darauf einzustellen. Dieses Maß an Fairness und Solidarität mit den Nicht-Streikenden finde ich bewundernswert. Die Frage ist nur, ob sie damit nicht ihr eigentliches Druckmittel unterlaufen.

Ob dann statt der Métro Busse fahren werden, weiß ich nicht. Die Busse sind im Berufsverkehr sowieso schon bis zum Bersten gefüllt. Sollten sie also fahren, dann werden sie aus allen Nähten platzen. Ich hab mir heute jedenfalls schon mal den Fußweg angeguckt. Es sind immerhin drei Kilometer, also etwa eine halbe Stunde, potenzielles Verlaufen nicht eingerechnet. Andererseits muß ich auch erst am späten Vormittag im Institut auftauchen und hätte dann genügend Zeit für gegebenenfalls notwendig werdende Kaffeepausen. Zwischen meinen Augen entsteht gerade eine bange Falte in Erwartung der Blasen ...

21. Januar 2008

Monkey business

Paris, schon wieder Licht aus hier am Schreibtisch

Leider schon vorbei, das schöne Wochenend und ich kehre wieder in den Pariser Alltag zurück. Aber nur ein bisschen. Und es tut auch nicht weh. Immerhin hatte ich heute den, in Zeilen ausgedrückt mit Abstand produktivsten Tag. Die daheim wird's freuen.

Ich habe noch gar nicht erzählt, dass ich Hanuman, den König der Affen, vor der Tür sitzen habe, der meinen Schlaf behütet. Hanuman hat, so wird im Ramayana erzählt, Rama dabei geholfen, seine Gattin Devi Sita aus den furchtbaren Klauen von Ravana zu befreien. Mir kann hier also gar nix geschehen, solange Hanuman mich beschützt. Wenn man bedenkt, wo Devi Sita überall herumgeschleift wurde von Beschützern, Befreiern und Entführern ... Aber immerhin wurden legendäre Schlachten geschlagen.

Und falls Hanuman, der außer mutig und stolz auch ein Geselle mit einer speziellen Sorte von Humor ist, mir mal nicht weiterhelfen kann, dann doch bestimmt die Marx Brothers. Humor nicht verlieren!

20. Januar 2008

Lamberts Abenteuer in Paris V

Paris, schon wieder dunkel am Schreibtisch

Heute haben wir mit Lambert einen Ausflug nach Montmartre gemacht und Sacre Coeur besucht. Sehr eigenartige Kirche, aber da es nunmal zum Lokalkolorit dazugehört, haben wir mitgespielt. Dort war es ziemlich ranzig, lauter Maler und ein Puff neben dem anderen. Na, mein Lieblingsplatz von Paris wird das jedenfalls nicht. Gegen Bohème hab ich ja nix, aber wenn es mit soviel Ranz einher geht, muss es auch nicht sein. Die Treppen waren aber sehr romantisch - so auf dem Hügel, das hat schon was. Was sich allerdings zu Füßen dieses Hügels abspielte, war dann weniger witzig. Ich finde Rotlicht-Viertel, egal wo sie sich auf diesem Planeten befinden, nicht besonders witzig. Und ich bin überzeugt, dass es den Frauen, die dort arbeiten müssen, nicht anders geht.

Die Füße haben sowieso nicht mehr richtig gewollt nach den Marschierereien während der letzten Tage. Meine beiden Männer haben sich also in aller Ruhe Paris angeguckt. Und wir hatten genügend Luft für einen Kaffee. Jetzt sind Lambert und ich schon wieder allein hier. Und jetzt plagt mich auch das Heimweh! Naja, vermutlich wird das in der nächsten Woche schnell vergehen. Und am nächsten Wochenende heißt es dann schon wieder Abschied nehmen von Paris.

19. Januar 2008

Lamberts Abenteuer in Paris IV

Paris: draußen Dunkelheit, am Schreibtisch Lampe

Lambert hat heute ausgedehnte Spaziergänge mit mir gemacht. Und da C. seit vorgestern da ist, ist jetzt Schluß mit lustig! Keine gemütlichen Spazierereien mehr, sondern im Trimmtrab einmal quer durch Paris. Lamberts und meine Füße qualmen! Aber immerhin sehen wir so mehr, als bei unserem normalen und gemütlichen Herumspazieren.

Angefangen haben wir heute früh am Eiffelturm. Lambert und ich, wir wollten rauf, C. wollte nicht warten - also haben wir die Treppe genommen. Seufz! Auf die erste Plattform ging ja noch, aber dann fingen die Füße ganz schön an zu qualmen. Zur Erfrischung hatte jemand Kunstschnee auf der Außenplattform verteilt. Da gabs dann auch Schneeschuhe. Wenn man die qualmenden Socken da reingestellt hatte, dann gings direkt wieder. Auf der zweiten Plattform waren wir dann auch. Dort hatten wir uns einen Kaffee mehr als verdient.

Wir spazierten dann über die Seine, über den Place du Trocadéro und die Avenue Kléber hinauf zum Arc de Triomphe. Auf das Monument sind wir nicht und das Museum haben wir uns auch gespart. Da hätte man durch finstere Kellergänge gemusst, unter dem Verkehr auf dem Étoile durch - nö, danach war uns nicht. Immerhin hat es heute den ganzen Tag nicht einen Tropfen geregnet, ganz im Gegensatz zu gestern. Zu schade, um den Tag drinnen zu verbringen.

Also sind wir gleich weiter geflitzt, die Champs Élysées hinunter. Wir haben den Élysée-Palast - und Sarko mit seiner hohen Rechnung von der Schönheitsfarm - links, und das Gelände der Weltausstellung, Grand und Petit Palais, rechts liegen lassen. Wir sind bis zur Place de la Concorde spaziert und haben dann über die Pont de la Concorde die Seine überquert. Vorbei an der Nationalversammlung sind wir den Boulvard St. Germain hinunter spaziert. Dass es dort das älteste Kaffeehaus der Welt gibt, gegründet 1686, hab ich weder C. noch Lambert verraten, denn zu dem Zeitpunkt waren wir schon schlappe sechs Stunden unterwegs und mir haben wahrhaftig die Socken gequalmt.

Die Kaffeehäuser sind hier alle ohnehin leidlich leer. Seit Jahresbeginn darf drinnen nicht mehr geraucht werden, zum draußen sitzen ist es nicht wirklich warm bzw. trocken genug - ich bin mal gespannt, wie lange die Pariser das mitmachen. Die sind da ohnehin etwas renitenter als die Wirte daheim.