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30. Dezember 2007

Prähistorische Schlachten

Tatort-Zeit, daheim

Da ich ja heute nun schon mal auf den literarischen Spuren der Vor- und Frühmenschen unterwegs gewesen bin, bin ich auf eine weitere Erzählung gestoßen. Sie stammt aus dem Jahr 1921. Herbert G. Wells saß in Easton Park, seinem Anwesen in Essex, als er die Geschichte niederschrieb. Hier ist nichts zu spüren von der Morgenröte der Menschheit. Wells ging es um die Prähistorie Europas. Hier in Europa lebten in der Vorgeschichte verschiedene Menschenarten. Zunächst war da der Mensch von Chelles. Wells kennt von ihm nur die Werkzeuge und den Unterkiefer (der aus Mauer stammt und dieses Jahr 100 wird). Aber die Werkzeuge sagen uns folgendes:

"Es muß wohl ein riesiger Kerl gewesen sein, sicherlich bedeutend größer als ein Mensch. Er war gewiß imstande, einen Bären beim Genick zu packen und den säbelzahnigen Löwen an der Kehle."

Danach lebten die Mousterianer oder Neandertaler:

"Sie hatten einen eigentümlich schlenkernden Gang, konnten ihren Kopf nicht zum Himmel wenden und ihre Zähne waren ganz anders als Menschenzähne. (...) Der untere Teil seines Gesichtes war länger, die Stirne niederer als beim Menschen, aber das lässt nicht darauf schließen, daß er weniger Hirn hatte. Sein Gehirn war so groß wie das eines modernen Menschen, nur hatte es eine andere Form, es war hinten größer, vorne kleiner, so daß er wahrscheinlich anders dachte, sich anders benahm als wir. Vielleicht hatte er ein besseres Gedächtnis und weniger Urteilskraft als der wirkliche Mensch oder vielleicht mehr nervliche Energie und weniger Intelligenz."

Diese Mousterianer lebten zeitgleich mit den wirklichen Menschen - unseren Vorfahren. Und das Vordringen des wirklichen Menschen führte dann zu ihrem Verschwinden. Der wesentliche Unterschied zwischen den wirklichen Menschen und den Neandertalern besteht in Wells' Augen darin, dass der erstere eine frühe, wenngleich rohe Form der Sittlichkeit und Moral besitzt, die letzterem fehlt. Die logische Konsequenz ist:

"Die Grizzlys aber können wir nicht verstehen, wir können nicht erfassen, was für seltsame Ideen einander in diesen merkwürdig geformten Hirnen jagten. Genauso könnten wir versuchen, zu träumen und zu fühlen wie ein Gorilla."
Die Grizzlys, Herbert George Wells

In der Erzählung kommt es folgerichtig zu einem prähistorischen Krieg zwischen beiden, in dessen Verlauf die Grizzlys ausgelöscht werden. Wells verteidigt hier eine frühe Variante eines Multispezies-Modells. Damit tun wir uns bis heute schwer; heute allerdings aus anderen Gründen. Dass das Aufeinandertreffen zweier früher Menschenformen zwangsläufig in kriegerische Auseinandersetzungen mündet, dürfte der Zeit geschuldet sein. Aber es ist schon bedrückend: dass der erste konkrete Nachweis über die Begegnung zweier Menschenformen nach Jahrtausende währender Trennung in ihrem Verlauf nur kriegerisch vorgestellt werden kann. Wells hat 25 Jahre zuvor schon einmal in der gleichen Weise über diese Begegnung nachgedacht. Hier gibt es Kurzbesprechungen beider Geschichten.