Paris, noch hell, aber schon wieder am Schreibtisch
Heute haben Lambert und ich einen Spaziergang über den Cimetière du Père Lachaise gemacht. Er erstreckt sich über einen ganzen Hügel. Seit Beginn des 19. Jahrhunderts werden hier Bestattungen durchgeführt. Ich möchte gar nicht mit einer Aufzählung anfangen, wer hier alles beigesetzt wurde. Man kann am Eingang sogar Karten kaufen, auf denen eingezeichnet ist, welche Celebrities wo ihre letzte Ruhestätte gefunden haben.
'Ruhe' ist dabei ein reiner Euphemismus. Dass man sich einer x-beliebigen Grabstätte einer bekannteren Person nähert, ist recht einfach daran zu erkennen, dass die Pflanzen, mit denen die Gräber ringsherum geschmückt sind, niedergetrampelt wurden. Darüber hinaus standen permanent Dutzende von Menschen herum. Man kann sich dort ein recht gutes Bild darüber verschaffen, wie unterschiedlich der Umgang mit Toten in verschiedenen Kulturen gehandhabt wird. Es gibt Leute, die gehen mit gesenktem Kopf und still herum und gucken. Es gibt andere, die einfach neugierig sind. Und schließlich gibt es auch solche, bei denen die Toten gewissermassen noch anwesend sind. Man isst und trinkt mit ihnen, amüsiert sich und lacht. Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wie das dort im Sommer ausschaut. Es gibt dort sogar einen eigenen Sicherheitsdienst. Für die Angehörigen derjenigen, die in der Nähe solcher Gräber beigesetzt sind, ist das bestimmt kein Spass. Andererseits: Wer seiner Familie dieses Theater ersparen will, muss sich ja nicht gerade hier beerdigen lassen.
Angenehmer ist es dort, wo die Gräber nicht unmittelbar von den Hauptwegen einsehbar sind. Das Grab von Marcel Proust etwa, liegt direkt hinter einem richtig großen Monument. Es wird davon praktisch vollständig verdeckt. Wäre ich nicht abseits unterwegs gewesen, hätte ich es nicht entdeckt. Aber siehe da, hier herrschte Stille! Und ganz offen gestanden, ist es genau diese Ruhe, die mich an fremden Orten auf die Friedhöfe zieht. Mitten in der hektischen Betriebsamkeit der Städte kann ich einen Schritt zur Seite treten. Dann kann ich wieder mich selbst hören und nicht permanent die Stimmen anderer, die meine innere Stimme überbrüllen.
Lambert blieb denn auch lieber in der Tasche und guckte sich das ganze aus der Entfernung an. Eigentlich ist der Friedhof nämlich sehr schön. Da er sich über einen ganzen Hügel zieht, scheinen sich die Grabmale in vielen Etagen übereinander zu türmen. Es ist ein bisschen schaurig und richtig schön morbide. Keine Angst, ich werde jetzt nicht anfangen, über Vergänglichkeit zu philosophieren, auch wenn sich die moosbedeckten, umgekippten Grabsteine mit den verwaschenen Inschriften im älteren Teil des Friedhofs dafür anbieten würden.